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Video: Dürfen Muslime singen?

Muslime, insbesondere auch Musliminnen, die öffentlich auftreten und singen, hören häufig, das sei unislamisch und verboten. Doch die Beschuldigten sind davon überzeugt, dass ihre Kunst sogar ein tiefer Ausdruck ihres Glaubens ist.

Der Prophet Muhammad verbietet das Singen nicht

Im Koran findet man keine Stelle, die Muslimen das Singen, Tanz oder Musizieren grundsätzlich verbietet. Im Gegenteil, vom Propheten Muhammad wird berichtet, dass er Sängerinnen zugehört und andere daran gehindert hat, ihren Gesang zu verbieten. Zu bestimmten Anlässen wünscht er sogar ausdrücklich, das gesungen, getanzt und musiziert wird. Dazu zählen: das Opferfest, Hochzeiten, Geburten und die Rückkehr von Reisenden. [1]

Die Muslime der frühislamischen Zeit lebten vom Gesang umgeben. Zahlreiche Werke von arabischen Musiktheoretikern wie al-Kindi (gest. 873), al-Farabi (gest. 950) oder das berühmte Werk Kitab al-Aghani, „Buch der Lieder“ von Abu al-Faradj (gest. 679) berichten darüber. In ihnen sind hunderte von Liedtexten überliefert und eine große Anzahl von Namen bedeutender Sänger und Sängerinnen aufgeführt.

Kritik der islamischen Theologen am Gesang

Trotz dieser vielfältigen Musikkultur findet man in den Hadith-Sammlungen auch kritische Berichte. Im Zentrum der Kritik stehen die Sängerinnen (qaina, Pl. qiyan) der vor- und frühislamischen Zeit. Die leicht bekleideten Damen werden auch durch Musik begleitet oder spielen selbst ein Instrument. Ihre Auftritte sind eng mit Erotik, Alkoholgenuss und käuflicher Liebe verbunden.

Hier liegt der Ursprung für pauschale Verbote über Musik und Gesang, die bis zum heutigen Tage als Argumente angeführt werden und in Internetforen wiederzufinden sind. So sei der Ursprung des Gesanges beim Teufel zu suchen oder Musik überhaupt etwas, was von Ungläubigen (kafir, Pl. Kufr) stamme. Musik verführe eher die Sinne, als das sie nützt und die Stimme einer Frau sei Teil ihrer Scham (aura), so dass sie nur unter Frauen während einer Hochzeit live singen dürfe. Es wird auch behauptet, es gäbe nur eine gültige Meinung, obwohl die Debatte nun mittlerweile fast 1.400 Jahre anhält und entsprechend viele Positionen hervorgebracht hat.

Der islamische Theologe al-Ghazali (gest. 1111) widerlegt in seinem berühmtesten Werk „Die Wiederbelebung der religiösen Wissenschaften“ (Ihya ulum ad-din) Schritt für Schritt die Argumente der Gegner von Musik und Gesang. Nach al-Ghazali kommt es auf die Situation an, die Einstellung, den Inhalt der Lieder und die Absichten. Für Sängerinnen gilt zudem, dass sie nicht mehr so freizügig gekleidet sein sollten, wie die Qaina. Den Befürwortern eines absoluten Verbotes von Gesang wirft er darüber hinaus vor, dass sie sich überwiegend auf schwache oder mehrdeutige Traditionen stützen.[2]

Strittig ist z.B. auch, ob die melodische Koranrezitation (tadjwid) als Gesang gilt oder nicht. So antworten z.B. Befürworter von Gesang ihren Gegnern, dass die Koran-Rezitation Gesang sei, weil sie sich an die Regeln für Gesang hält. Verbietet man also Gesang, dann müsste man auch die anerkannte Koranrezitation verbieten.

Aus dem Streit ist über die Jahrhunderte eine umfangreiche Literatur entstanden. Bis zum heutigen Tage werden hier sehr verschiedene Standpunkte vertreten:

  • Islamische Theologen, die ein weitreichendes Verbot von Gesang und Musik aussprechen, wie z.B. Ibn Taymiya (gest.1328), Ibn Baz (gest. 1999) oder Ayatollah as-Sistani. Zu ihnen gehören heute vor allem Anhänger von fundamentalistischen Bewegungen, wie Salafisten, Wahhabiten aber auch einige Schiiten. Manche lassen höchstens den religiösen Sprechgesang (nashid) zu. [3]
  • Einige sunnitische Theologen befürworten ebenfalls ein pauschales Verbot, andere lehnen dies jedoch mit unterschiedlichen Varianten gemeinsam mit moderateren Schiiten ab. Zu ihnen gehört z.B. al-Ghazili [4]

Muslime singen weltweit

Nur in wenigen Staaten haben islamische Gelehrte mit ihren Forderungen nach einem absoluten Verbot von Gesang die Kontrolle über das musikalische Leben gewonnen. Zu ihnen zählen Afghanistan, Saudi-Arabien und die vom sogenannten Islamischen Staat kontrollierten Gebiete in Syrien und Irak.

Die überwiegende Mehrheit der Muslime pflegt heute ihr reiches musikalisches Erbe

„Das Herz liebt alles Schöne…“ sang die Ägypterin Umm Kulthum, die zum Vorbild vieler Sängerinnen wurde. Nachdem sie in den 1920er Jahren bei mehreren islamischen Gelehrten Gesangsunterricht genommen hat, erlebt sie eine steile Karriere. 1934 weiht sie den ersten ägyptischen Rundfunksender „Radio Kairo“ ein. Als sie 1975 stirbt, füllen mehrere Millionen Trauernde die Straßen Kairos.

Der berühmte syrische Sänger und Komponist Abed Azrié greift die alte Tradition der arabischen Poesie auf, die auch unter den ersten Muslimen hoch geschätzt wird. Sein Repertoire reicht bis zu den Wurzeln dieser Kunst, den uralten Epen des Vorderen Orients, wie dem Gilgamesch-Epos.

Ganz anderen Ideen folgen Sängerinnen und Sänger des Rap und Hip Hop, die sich zum Islam bekennen. Als in den Ghettos Hip Hop entsteht, entdecken viele muslimische Jugendliche hier ihre Chance, ihre Gedanken und Gefühle in einzigartiger Weise treffend auszudrücken. Zu ihnen gehören auch einige wenige gläubige Musliminnen, wie „Miss Undastood“ und in wachsender Zahl Hip Hop Sängerinnen in Europa. Über Hip Hop können sie ihre Gedanken über ihren Glauben, persönliche Erlebnisse oder soziale Probleme frei äußern.

Quellen

[1] Sahih Muslim 892a, Book 8, Hadith 16, USC-MSA web: Book 4, Hadith 1938. Sahih al-Bukhari 952, Book 13, Hadith 4, USC-MSA web reference: Vol. 2, Book 15, Hadith 72

[2] Buch 18: Über Musik und Gesang: Quelle: Daniel, Elton L.: The Alchemy of Happiness, Armonk 1991

[3] Fadlou Shehadi: Philosophies of Music in Medieval Islam, S. 95ff. as-Sistani: A Code of Practice for Muslim in the West; Music, Singing & Dancing, General Rules. Ibn Baz: https://islamfatwa.de/soziale-angelegenheiten/180-bilder-medien-musik/musik/1552-urteil-ueber-das-singen
[4] Fadlou Shehadi: Philosophies of Music in Medieval Islam, S. 115ff.

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