Lailat al-Qadr

Arab.: „Nacht der Bestimmung“

In der Nacht der Bestimmung, auch Lailat al Qadr genannt, begann laut Überlieferung die Offenbarung Gottes an den Propheten Muhammed im Jahre 610 mit der Offenbarung der ersten Sure al-Alaq. Zugleich mit diesen ersten Offenbarungen erfährt der Prophet Muhammad in dieser Nacht auch von seiner Erwählung als Prophet durch Gott. Lailat al-Qadr wird mehrmals erwähnt im Koran. Sie ist eine der bedeutendsten Nächte im Islam und gehört zu den besonderen Ereignissen im Fastenmonat Ramadan.

Keine Nacht wird im Koran stärker betont als die Nacht der Bestimmung (Laylat al-Qadr). Die 97. Sura des Koran ist gänzlich jener Nacht gewidmet:

„Siehe, wir sandten ihn hernieder in der `Nacht der Bestimmung`.

Und was lässt dich wissen, was die `Nacht der Bestimmung`ist?.

Die `Nacht der Bestimmung`ist besser als tausend Monate.

Es steigen in ihr nieder die Engel und der Geist – mit der Erlaubis ihres Herrn zu jeglichem Geheiß.

Friede ist sie, bis zum Anbruch der Morgendämmerung.“ (Sure 97: 1-5).

In Hadith-Quellen (sowohl sunnitischen als auch schiitischen) finden sich zahlreiche Überlieferungen darüber, dass der Prophet Muhammad die Gläubigen zum Intensivieren ihrer Gebete in den letzten 10 Nächten des Ramadan animierte. In jenen Nächten zog sich der Prophet in das Gebetshaus zurück (Itikaf), blieb wach, war achtsamer in seinen Gebeten und weckte seine Familie auf.

(Hadithsammlung Sahih Muslim Hadithnr. 1171).

Auch wenn der genaue Zeitpunkt nicht bekannt ist, haben Rechtsgelehrte sich als mögliche Termine auf die letzten zehn ungeraden Nächte des Ramadans festgelegt. Das Fest wird traditionell meist in der Nacht des 27. Ramadan zelebriert. Nach dem traditionellen Gelehrten Ibn Qudamah al Maqdisi (gest. 1223) gibt es Weisheiten in der Verschwiegenheit des Propheten, den genauen Tag des Lailat al-Qadr bekanntzugeben. Maqdisi schrieb:

„Gott hat diese Nacht von seiner Umma verborgen, damit sie sich drum bemühen, nach ihr zu suchen durch Gottesdienst während des gesamten Monat Ramadan, in der Hoffnung sie aufzufangen. Und er verdeckte die individuelle Lebensdauer einer jeden Person und die Stunde (des Tages des Gerichts), damit die Menschheit kontinuierlich sich um gute Taten bemühen und achtsam sind.“

(Ibn Qudamah al-Maqdisi, Al-Mughni, Dar `Alam al-Kutub, Band 4, S. 453)

Bedeutung des „Laylat al-Qadr“

Muslimische Rechtsgelehrte und Sprachwissenschaftler deuteten den Begriff „Laylat al-Qadr“ unterschiedlich, da das Wort Qadr verschiedene Bedeutungsebenen haben kann. Einige verstehen den Begriff als „Nacht der Bestimmung“ (qadar). Ihrer Meinung nach würde in dieser Nacht über das Schicksal der Menschen für das nächste Jahr entschieden werden, z.B. über ihre Versorgung, ihre Lebensdauer, ihre Taten und darüber, wer im folgenden Jahr die Pilgerreise antreten wird. Der Hadithgelehrte al-Asqalani (gest. 1449) unterscheidete zwischen der veränderbaren Vorherbestimmung (al-Qada al-Mu`allaq) und der unwiderruflichen (al-Qada` al-mubram). Erstere sei in Besitz der Engel und sei änderbar. Die Aufzeichnung auf der vom Schöpfer bewahrten Tafel jedoch, dem Lawh al Mahfuz, sei unveränderbar.

Die Laylat al-Qadr ist nach dem Korangelehrten Alusi (gest. 1854) die letzte Gelegenheit, jene veränderbare Vorherbestimmung zum Guten zu ändern und für die Verwirklichung seiner höchsten Träume und die Verhütung vor seinen schlimmsten Albträumen zu beten. Da in jener Nacht das Schicksal des Menschen für das nächste Jahr festgelegt wird, suchen Gläubige Zuflucht bei Gott vor bitteren Konflikten oder Verlust eines Familienmitglieds, schweren Erkrankungen, vor Zerstörung von Eigentum oder dem Verlust des Glaubens und bitten ihren Schöpfer um Schutz.

Andere wie al-Baghawi (gest. 1122) verstanden den Begriff als „Nach der Macht“. Demnach kennzeichne der Begriff die Gewaltigkeit des Segens oder das gewaltige Gewicht der guten Taten, die in der Nacht verrichtet bzw. ausgeführt werden. (Tafsir Al-Baghawi, Band 8, S. 48) Eine weitere Bedeutung des Qadr ist die „Einengung“. Damit ist die Beengung der Erde gemeint, da die Engel auf die Erde absteigen und sie einkreisen und besetzen. In einer Überlieferung sagte der Prophet Muhammad: „Wahrlich sind die Engel in dieser Nacht so zahlreich wie die Kieselsteine auf der Erde.“

(Hadithsammlung Musnad Ahmad, Hadithnr. 10734)

Die Laylat al-Qadr steht auch in enger Beziehung zum Koran. In den Suren al-Qadr (97:1-5) und al-Dukhan (44:3) wird erwähnt, dass der Koran in jener Nacht herabgesandt worden ist. Ibn Abbas (gest. 688), der Cousin des Propheten Muhammad und führender Korangelehrter seiner Zeit, erläuterte den Vers damit, dass der Koran in jener Nacht in seiner Gesamtheit von dem höchsten Himmel zum niedrigsten Himmel offenbart und dann in einer Kammer, die als bayt al izza (Haus der Würde) bezeichnet wird, platziert wurde. Von dort wurde er dann schrittweise an den Propheten offenbart. (Hadithsammlungen Mustadrak al-Hakim, Hadith-Nr. 3781, Sunan al-Nasa’i, Hadith-Nr. 11625, Sunan al-Bayhaqi, Hadith-Nr. 8521). Damit sollte den Himmelbewohnern, den Engeln, verkündet werden, dass der Koran die letzte gültige Offenbarung ist.

Ein wichtiger Aspekt des Laylat al-Qadr ist auch das Beten um Vergebung. In der Hadithsammlung Tirmidhi findet sich eine Überlieferung, nach der der Prophet seiner Ehefrau A`ischa ein besonderes Gebet für die Nacht empfohl (Jami’ al-Tirmidhi, 3513). Da nach einem Koranvers dem Menschen auch Unglück und Bedrängnis als direkte Folge seiner Sünden widerfahren kann (Sure 42:30), nutzen Muslime die Laylat al-Qadr, um ihren Schöpfer um Vergebung ihrer Sünden und Mängel zu bitten.

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