Tafsir

Der Begriff „Tafsir“ (Plural: Tafasir) bedeutet „Erklärung, Erläuterung oder eben Koran-Exegese“[1] und kommt ursprünglich vom Aufdecken und Entschleiern.[2] In aller Regel meint man damit die Erklärung des Koran. Ein Koran-Exeget wird als Mufassir bezeichnet.

Wozu überhaupt Tafsir?

Grundsätzlich sagt der Koran von sich selbst, dass er deutlich und klar zu verstehen ist. So heißt es zum Beispiel: „Ein Licht und eine offenkundige Schrift sind von Allah zu euch gekommen.“ [3]

Es gibt jedoch zwei Gründe, warum Muslime Tafsir brauchen: Erstens wurde der Koran stückweise in über 20 Jahren herabgesandt. Dadurch kommt es vor, dass Verse unter bestimmten Umständen herabgesandt wurden. Wenn man diese nun nicht kennt, würde man wichtige Hintergrundinformationen der Offenbarung vernachlässigen. Der zweite Grund ist, dass bestimmte Ausdrücke nicht wortwörtlich, sondern zum Beispiel bildlich oder euphemistisch gemeint sind. [4]

Beginn und Geschichte des Tafsir

Begonnen hat Tafsir bereits im Zeitalter des Propheten Muhammad, da auch seine Gefährten manchmal einzelne Worte nicht korrekt verstanden haben.[5] Die beiden Gefährten, die nach ihm die bekanntesten Gefährten für Tafsir waren, sind Ali ibn Abi Talib und Abdullah ibn Abbas gewesen.[6]

Tafsir hat sich relativ schnell zu einer eigenen Wissenschaft entwickelt. In dieser bildeten sich über die Jahrhunderte verschiedene Schulen und Gattungen. Die zwei wichtigsten sind: Tafsir durch Überlieferung (Tafsir bi-l-Ma’thur) und Tafsir durch Ermessen (Tafsir bi-r-Ra‘y).

Tafsir durch Überlieferung

Bei der ersten Form werden vor allem Überlieferungen aufgelistet, die den Prophetengefährten bzw. den ihnen Nachfolgenden zugeschrieben werden und den jeweiligen Vers erklären. Im Anschluss werden die Überlieferungen häufig gegeneinander abgewogen. Die wichtigsten Vertreter dieser Schule sind at-Tabari (gest. 923), Ibn Kathir (gest. 1373) und as-Suyuti (gest. 1505).[7]

Tafsir durch Ermessen

Bei der zweiten Tafsir-Gattung, nämlich Tafsir durch Ermessen, wird die Überlieferung zwar teilweise berücksichtigt, der Fokus liegt aber in der sprachlichen und theologischen Analyse. Die wichtigsten Vertreter dieser Schule sind Ibn Atiyya (gest. 1146), Zamakhshari (gest. 1144), Razi (gest. 1209), Baydawi (gest. 1290), Ebussuud (gest. 1574), Alusi (gest. 1854) und Ibn Ashur (gest. 1973).[8] Auch der schiitische Gelehrte at-Tusi (gest. 1066) ist dieser Gattung zuzurechnen.

Eine Unterkategorie bilden solche Exegese-Werke, die vor allem die islamrechtlichen Fragen behandeln. Die wichtigsten Exegese-Werke hierfür stammen vom hanafitischen al-Jassass (gest. 981) und den beiden Malikiten Ibn al-Arabi (gest. 1148) und al-Qurtubi (gest. 1272).

Die Methoden und der Umfang der Exegese-Werke sind sehr unterschiedlich; so gibt es Werke, die sich mit kleinen Erläuterungen am Seitenrand begnügen, bis hin zu solchen, die 30 Bände umfassen.

Um Tafsir selbstständig ausüben zu können, sind zahlreiche Wissenschaften erforderlich und es bedarf eines hohen Grades an Gelehrsamkeit. [9] Der Exeget (Mufassir) muss die arabische Sprache samt ihrer verschiedenen Fertigkeiten, Koran-Wissenschaften, Islamische Rechtsmethodologie, Hadith-Wissenschaften usw. beherrschen.[10]

Tafsir im Überblick:

  • Tafsir bedeutet Erklärung und ist dafür gemacht, den Koran besser zu verstehen.
  • Es gibt verschiedene Tafsir-Gattungen mit unterschiedlichen Schwerpunkten.
  • Tafsir ist eine Wissenschaft, die zur Zeit des Propheten Muhammad begann und bis zum heutigen Tage betrieben wird.
  • Um Tafsir ausüben zu können, bedarf es sehr vielen Wissens in verschiedenen Wissenschaften.

Quellen:

[1] Vgl. Wehr: Arabisches Wörterbuch (1985), S. 963.
[2] Vgl. Al-Qattan: Ulum al-Qur’an (1995), S. 316.
[3] Sure al-Ma’ida (Der Tisch) 5:15.
[4] Vgl. Ibn Ashur: at-Tafsir wa-Rijaluh (1970), S. 10ff.
[5] Vgl. Al-Qattan: Ulum al-Qur’an (1995), S. 327.
[6] Vgl. as-Suyuti: al-Itqan (2005), Bd. 6, S. 2325ff.
[7] Vgl. Salih: Ulum al-Qur’an (1977), S. 291.
[8] Vgl. Al-Judai: Ulum al-Quran (2001), S. 360.
[9] Vgl. Ibn Atiyya: al-Muharrar al-Wajiz (2002), S. 15.
[10] Vgl. Salih: Ulum al-Qur’an (1977), S. 292.

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