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Video: Sollen Muslim*innen Sport treiben?

Seit der Entstehung des Islams vor fast 1400 Jahren denken Muslim*innen über die richtige Art und Weise nach, ihren Körper zu trainieren und zu pflegen. Der Prophet Muhammad bewertet Gesundheit und körperliche Fitness als sehr wichtig für den Glauben. Dennoch lehnen zahlreiche fundamentalistische Gelehrte, salafistische Gruppierungen oder Muslimbrüder Sport in vielen Kontexten und quasi generell ab.

Bewegung und Körper im Islam

Der Islam ist eine Rechtsreligion, so gibt es aus Koran und Sunna abgeleitete Regeln zur Körperhygiene aber auch Gesundheit und Bewegung, wie z.B. die rituellen Waschungen zum Gebet. Diese Gebete oder viele andere Aufforderungen, seine Zeit sinnvoll mit Bewegungen zu nutzen, fordern körperliche Aktivität. All dies soll mit dem richtigen Maß geschehen.

So gibt es die Empfehlung, seinen Tag in acht Stunden Schlaf, acht Stunden Arbeit und acht Stunden für Familie, Kinder und Bildung einzuteilen, sofern es möglich ist. Generell gilt die Annahme, dass ein gesunder Körper, in dem man sich wohlfühlt, zu einer positiven Lebenshaltung führt – etwas, was man heute aus vielen gesellschaftlichen Richtungen hört oder auch vorgelebt bekommt. Dem Koran nach ist der Mensch selbst für das Wohl seines Körpers verantwortlich, der Körper wird als Leihgabe Gottes verstanden, so dass es eine religiöse Pflicht ist, gut auf diese Leihgabe Acht zu geben. [1]

Sport in Koran und Sunna

In Koran und Sunna gibt es keine Stellen, die sich auf den Freizeit- oder Leistungssport im heutigen Sinne beziehen. Der Zeit des Propheten entsprechend handelt es sich hier häufig um Übungen die etwas mit Kampf und Verteidigung zu tun haben. Dies ist wenig überraschend, wenn man weitere vormoderne Gesellschaften betrachtet und bedenkt, dass eine der höchstangesehenen Disziplinen der Olympischen Spiele der Marathon-Lauf ist, benannt nach der Schlacht im Antiken Marathon, nach der ein Bote ohne Pause eine große Distanz zurücklegte, um den Sieg zu verkünden und der Legende nach im Anschluss aufgrund der Anstrengungen verstarb.

In den bedeutendsten Hadith-Sammlungen sind zahlreiche Tätigkeiten erwähnt, die heute als Sportarten gelten. Sei es das Fechten, das Ringen, das Hochspringen oder auch das Schwimmen. Während diese „Tätigkeiten“ in der Entstehungszeit dieser Texte vom 7. bis 10. Jahrhundert wichtig für das Überleben im Alltag und während des Krieges waren, sind sie heute Grundlage vieler intensiver Sportarten in Freizeit und Profisport.

Neben den bereits erwähnten Sportarten zählen z.B. auch Bogenschießen, Fechten, Wurfsportarten, Reiten, und Jagen zu den von Muslim*innen häufig erwähnten und ausgeübten „typischen“ Formen des Sports. Die US-Amerikanische Fecht-Olympionikin Ibtihaj Muhammad sagte 2016 in einem Interview mit der Washington-Post, dass ihre Eltern sie dem Fechten näherbringen wollten, eben, weil es eine lange muslimische Fechttradition gibt und sie in dem Sport mit dem Hijab trainieren könne. Im gleichen Jahr holte sie eine Bronzemedaille bei den Olympischen Sommerspielen in Rio. [2]

Sport: eine religiöse Pflicht oder Verführung des Westens

Die Empfehlungen muslimischer Gelehrter zum Sport und Spitzensport bieten ein weites Spektrum unterschiedlicher Meinungen:

Modernistische Gelehrte, wie z.B. einige Wahhabiten, Muslimbrüder und Salafisten lehnen Sport radikal ab: Die Identität der Muslim*innen sei gefährdet. Sport sei ein dekadentes Phänomen des Westens. Muslim*innen werden durch Sport dazu verführt, ihre Glaubenspflichten zu vernachlässigen. Sport sei eine Gefahr für die islamische Kultur und Lebensweise. Muslim*innen müssten sich gegen diese fremde, nicht-islamische Kultur abgrenzen. Nicht nur Sport treiben, sondern auch das Zuschauen sei tabu. Sie lehnen die Fankultur als Vielgötterei (arb. shirk) ab. Medien sollten überhaupt nicht davon berichten. [3] Währenddessen haben salafistische Männergruppen oft lokale Fußballturniere organisiert und dabei ihre jeweilige Agenda unter jungen Muslim*innen populärer zu machen.

Viel wichtiger ist jedoch, dass die überwiegende Mehrheit sunnitischer und schiitischer Gelehrter Sport befürwortet. Sie betonen die Pflicht der Muslime vor Gott, persönlich für die Gesundheit ihres Körpers verantwortlich zu sein. Außerdem stehen muslimische Eltern in der Pflicht, körperlich starke und gesunde Kinder und Jugendliche zu erziehen.

Denn gerade in vielen Wohlstandgesellschaften nimmt die Zahl übergewichtiger Menschen konstant zu und sogenannte Wohlstandskrankheiten wie Formen von Typ-2-Diabetes, Bluthochdruck oder gewisse Herz- und Gefäßkrankheiten werden auch unter Musliminnen und Muslimen immer häufiger. Zwar gibt es viele Gründe dafür, doch sind fehlende Bewegung und ungesunde Ernährung zentrale Bestandteile dafür. In wohlhabenden arabischen Staaten, Saudi-Arabien oder den Golfstaaten sind unzureichende sportliche Bewegung und gesunde Ernährung ein immer größer werdendes Problem. [4] Oft werden z.B. alle Strecken, egal ob kurz oder lang, mit dem Auto zurückgelegt und unreflektiert sehr zuckerhaltige Softgetränke in krankmachender Quantität zu sich genommen. Ein Thema welches langsam auch von Gelehrt*innen aufgegriffen und thematisiert wird.

Während viele Gelehrte die friedlichen Ideale und völkerverbindenden Funktionen des Sports im Sinne der Olympischen Bewegung unterstützen, sehen einige Gelehrte ein extremeres Ziel, das nichts mehr mit dem olympischen Gedanken zu tun hat, sondern eher mit der Lebenswelt vor 1400 Jahren: Yusuf al-Qaradawi verbindet Sport z.B. mit der Vorbereitung zum Kampf für den Dschihad. Vergleichbare Positionen findet man auch in den Statuten des Nationalen Olympischen Komitees des Iran, wo auf die Kampftauglichkeit in der Frühzeit des Islams Bezug genommen wird [5] – ein Gedanke, der bis heute in vielen Ländern vorherrscht und nicht nur auf manche muslimische Stimme beschränkt ist.

Regeln für den islamischen Sport

Sowohl sunnitische, als auch schiitische Gelehrte empfehlen Regeln, die an Werten des Islams orientiert sind, beispielsweise sportliche Fairness, keine schwere Verletzungsgefahr für den Körper, keine schädlichen Mittel, das Wettverbot und die religiösen Pflichten dürfen nicht vernachlässigt werden. Wie erwähnt wird die sterbliche Hülle, die die Seele umschließt, also der menschliche Körper, als Leihgabe Gottes betrachtet. Diese gilt es pfleglich zu behandeln, was auch bedeutet, dass zum Beispiel Kampfsportarten mit Vollkontakt verpönt bis Verboten sind und diese ohne viel Gewalt ausgeübt werden sollen. Auch dabei gibt es Unterschiede aber es gilt der Grundsatz „Füge deinem Bruder oder deiner Schwester keine Schmerzen, keine Gewalt zu“.

Umstritten sind die Regeln für Sportbekleidung. Zentral ist der Begriff `aura, was in diesem Zusammenhang Genitalien oder den Schambereich bedeutet. Hadith-Sammlungen handeln überwiegend von der `aura des Mannes. Sie betonen, dass Männer, wenn sie in der Öffentlichkeit sind, vom Bauchnabel bis zum Knie bedeckt sein sollten. Grundsätzlich gilt für Männer und für Frauen, dass sie sich anständig kleiden sollen. Häufig wird auf den Koran verwiesen, so heißt es in Sure an-Nur (das Licht) in Vers 30: „Sag zu den gläubigen Männern, sie sollen ihre Blicke senken und ihre Scham hüten. Das ist lauterer für sie. Gewiß, Allah ist Kundig dessen, was sie machen.“ Daraus leiten `Ulama seit jeher auch ab, dass beim Schwimmen auch Kleidungsregeln für Männer gelten, die heutzutage jedoch eine weniger wichtige Rolle eingenommen haben als die Bekleidung von Frauen. (Weiterführender Link: Welche Kleidung muss eine Muslimin tragen? Wie dürfen Musliminnen Sport treiben?) [6]

Wie angedeutet sind gewissen Sportarten sehr umstritten, bei denen eine hohe Verletzungsgefahr besteht. Zu ihnen zählt unter anderen das Boxen. Boxweltmeister Muhammad Ali gilt zwar als Leitfigur, aber auch als negatives Beispiel wegen seiner nachfolgenden schweren Erkrankung.

Wichtig ist muslimischen Gelehrt*innen auch das richtige Umfeld. Auch hier gibt es keine einheitlichen Empfehlungen für Bekleidungsregeln oder gemischt-geschlechtliche Sportveranstaltungen. Kritisch wird die Kommerzialisierung, der sog. Medienzirkus und die Technologisierung des Sports gesehen.

Die Mehrheit der Gelehrt*innen empfiehlt daher, auf die jeweiligen Bedingungen zu achten. Sie überlassen es der individuellen Entscheidung der Sportler*innen, wie sie ihre Handlungen vor Gott vertreten können. [7]

Sport und islamische Staaten

Orientiert an diesen Empfehlungen haben Staaten mit mehrheitlich muslimischer Bevölkerung Sportveranstaltungen organisiert, z.B. die „Islamic Games“ von 1980 in Izmir, die „Pan-Arab Games“, die „Islamic Solidarity Games“ (2006 Saudi-Arabien, 2009 Iran) oder die „Islamic Countries Women’s Sports Solidarity Games“.

Diese großen muslimischen Sportereignisse sollen die Gemeinschaft der Muslim*innen, ihre Identität und die positiven Werte des Islams stärken. Die Veranstaltungen fanden aber auch in enger Zusammenarbeit mit dem Internationalen Olympischen Komitee statt. In diesem Sinne gründeten die beteiligten Staaten auch die Islamic Solidaritiy Sports Federation. An den Sportveranstaltungen dürfen auch Christ*innen und Nicht-Muslim*innen aus den beteiligten Staaten teilnehmen.

Sportunterricht gehört in allen Staaten mit mehrheitlich muslimischer Bevölkerung zum Unterricht. Umfangreiche moderne Sportanlagen findet man ebenfalls in diesen Staaten. Moderne Sportarten, beispielsweise der Fußball, sind auch in muslimisch geprägten Ländern sehr populär.

Besonders die Staaten der Golfregion schaffen mit hohen Investitionen Sportanlagen auf internationalem Niveau: Qatar war Gastgeber der Asien Spiele (2006) und bereitet die Austragung der Fußballweltmeisterschaft von 2022 vor. Manama in Bahrain (seit 2004) und Abu Dhabi (seit 2009) sind mit ihren neuen modernen Rennstrecken feste Austragungsorte der Formel 1. Die modernen Sportanlagen in Dubai, insbesondere der Ausbau von „Dubai Sports City“ und die Pferderennbahn, sind nach Expert*innenmeinungen vorbildlich.

Allein diese Staaten haben einen dichten Veranstaltungskalender von sportlichen Großevents. Es sei erwähnt, dass Sport seit vielen Jahrzehnten nicht nur ein Wettmessen der beteiligten Sportler*innen ist, sondern auch zur Projektion von nationalem Prestige dient, eine Entwicklung die gleichsam „Stolz“ hervorruft aber auch von Gelehrt*innen abgelehnt wird. Auch erwähnt sei, dass während Golfstaaten freigiebig Staatsbürgerschaften an Spitzensportler*innen verteilen, um in Medaillenspiegeln nach oben zu wandern, entscheiden sich Profis aus Deutschland aufgrund von Rassismus Erfahrungen immer wieder für das jeweilige Herkunftsland ihrer Eltern oder Großeltern aufzulaufen. Eine Tatsache die wenig schmeichelhaft ist und zu Umdenken führt.

Quellen

[1] Dahl. Zum Verständnis von Körper, Bewegung und Sport in Christentum, Islam und Buddhismus. Berlin 2008. S. 193-199

[2] Damir-Geilsdorf, Menzfeld, Pelican (Hg.), Islam und Sport, 2014, S. 8-9

[3] Dahl. Zum Verständnis von Körper, Bewegung und Sport in Christentum, Islam und Buddhismus. Berlin 2008. S. 199-201, 202-203

[4] https://www.zdf.de/politik/auslandsjournal/auslandsjournal-die-doku-116.html

[5] Dahl. Zum Verständnis von Körper, Bewegung und Sport in Christentum, Islam und Buddhismus. Berlin 2008. S. 201

[6] Dahl. Zum Verständnis von Körper, Bewegung und Sport in Christentum, Islam und Buddhismus. Berlin 2008. S. 221ff.

[7] Dahl. Zum Verständnis von Körper, Bewegung und Sport in Christentum, Islam und Buddhismus. Berlin 2008. S. 199-201

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