Kommen alle Nicht-Muslime in die Hölle?

Die Frage, ob einige Nichtmuslime den Zugang zum Paradies haben werden, wird von muslimischen Gelehrten seit Jahrhunderten diskutiert und unterschiedlich bewertet.

Bevor wir die unterschiedlichen Positionen gegenüberstellen, sollten wir festhalten, dass Paradies und Hölle nach muslimischer Auffassung nicht einfach zwei Kategorien sind, wie First Class und Economy. Im Koran und der Sunna finden wir zahlreiche Beschreibungen unterschiedlicher Abstufungen von den Gärten des Himmels und der Höllenstufen. Ghazali z.B. meinte, dass es unzählige Abstufungen gibt, da jeder Mensch mit einer exakten Gerechtigkeit belohnt bzw. bestraft werden wird [1].

Ein zweiter grundlegender Punkt in der islamischen Theologie ist die Grundregel, dass Menschen nicht für Dinge außerhalb ihrer Kontrollkraft verantwortlich gehalten werden. Menschen also, die auch als Leute der Zwischenzeit (ahl al-fatra) genannt werden, die die prophetische Botschaft nicht erreicht hat, sind z.B. nach maturidischer Auffassung nur dafür verantwortlich, mit ihrer Vernunft Gott anzuerkennen, auch wenn sie nicht seiner Religion folgten. Andere Theologen wie al-Ghazali gingen sogar weiter und vertraten die Position, dass Menschen, denen die Botschaft des Propheten nicht authentisch bzw. nur verzerrt erreicht hat, nicht dafür verantwortlich gehalten werden, der Religion des Islam zu folgen.

Was nun genau authentisch ist, und welches Urteil Allah für diese Menschen fällen wird, war für viele Gelehrte ein Rätsel, sodass sie antworteten, Gott wird fair und gerecht urteilen in einer Art die wir nicht kennen. Der bekannte jemenitische Gelehrte Muqbil al-Wadi’i (gest. 2001)zum Beispiel, war trotz seiner salafistischen Anlehnung der Meinung, dass Menschen in Westeuropa und Nordamerika eine moderne Art der Ahl al-fatra darstellten [2]. Was aber ist mit jenen, denen der Islam überzeugend präsentiert wurde?

1. „Der Islam ist der einzig wahre Weg“

Der Großteil der traditionellen Gelehrten vertreten bis heute die Position, dass der Islam der einzig wahre Weg zu Allah ist. Diese werden wir im Folgenden als die ausschließende (bzw. exklusivistische) Position bezeichnen. Der Islam, als das einzig gültige Bekenntnis vor Gott. Sie stützen sich auf Koranverse wie 3:85, 3:19, 4:115 oder 48:13. Diese Position ist für den liberal Denkenden kaum nachvollziehbar, doch sagt sie zunächst nichts über die weltliche, diesseitige Stellung von Menschen anderer Religionen aus. Charles Le Gai Eaton (gest. 2010), ein britisch-muslimischer Diplomat und Schriftsteller, der seinen westlichen Lesern gern Themen rund um den Islam und die islamische Welt zu veranschaulichen versuchte, schreibt in seinem Buch zum Islam:

„Eine Religion, welche die Unterscheidung zwischen Glauben und Unglauben als die fundamentalste aller möglichen Unterscheidungen behandelt, vergleichbar auf der physischen Ebene dem Unterschied zwischen Sehenden und Blinden. Glauben und Verstehen ergänzen und unterstützen einander. Wir erwarten von einem Blinden keine angemessene Beschreibung einer Landschaft, selbst dann nicht, wenn er ihre Topographie wissenschaftlich studiert und die Beschaffenheit des Gesteins und ihrer Vegetation analysiert hat. Im Islam ist jeder Aspekt des menschlichen Lebens, jeder Gedanke und jede Handlung im Licht des grundlegenden Glaubensartikels geformt und bewertet. Entfernt man diese Halterung, so bricht die ganze Struktur zusammen.“

Le Gai Eaton führt fort, dass für den Muslim sein Gottesdienst, sein Streben nach Heiligkeit aber auch sein Handeln auf dem Markt Elemente eines unteilbaren Ganzen seien. Daher sei die Wirklichkeit des Monotheismus aus Eaton´s Perspektive nicht zu trennen von den selbst trivialsten Aspekten seines Lebens, da nichts außerhalb des Umkreises dieser Wirklichkeit noch unabhängige Realität besitzen könne.

2. Glaube an Gott und gute Taten reichen aus

Andere eher moderne Gelehrte wie Rashid Rida (gest. 1935), Fazlur Rahman (1988) und Farid Esack vertraten die Position, im Folgenden als die relativistische Position bezeichnet, dass der Glaube an Gott und gute Taten ausreichend seien für die Erlösung und stützen sich ebenfalls auf Verse aus dem Koran wie 2:62 und 2:112. Diese sei eine notwendige Konsequenz der unendlichen Barmherzigkeit Gottes [3]. Dieser Denkschule scheinen jedoch etliche Hadithe über die ausschließliche Heilswirksamkeit des Islam im Wege zu stehen, während andere Hadithe sie scheinbar unterstützen. Dazu gehört ein Hadith in dem es heißt:

„Wer auch immer sagt: ‚Es gibt keine Gottheit außer dem einen Gott‘ betritt das Paradies.“

Nach dieser Position hat Gott jeder Gemeinschaft oder jedem Volk Propheten gesandt (laut einem Hadith in der Hadithsammlung Musnad Ibn Hanbal gab es 124.000 Propheten) und all diese Propheten kamen im Kern mit derselben Botschaft, auch wenn sie sich in den Details unterschieden. In Sure 21:25 heißt es „Und Wir haben vor dir keinen Gesandten gesandt, dem Wir nicht (die Weisung) eingegeben hätten: ‚Es gibt keinen Gott außer Mir, so dient Mir!‘“ Demnach gab es selbst vor der Prophetie Muhammads ebenfalls Menschen, die jenen Propheten trotz ihrer Deformation bzw. Verfälschung aufrichtig folgten und sich in ihrer Frömmigkeit und Gottergebenheit auszeichneten. Dazu wird oft der Koranvers 3:113-115 zitiert, in dem es heißt:

„Unter den Leuten der Schrift ist eine standhafte Gemeinschaft, die Allahs Zeichen zu Stunden der Nacht verliest und sich (im Gebet) niederwirft. Sie glauben an Allah und den Jüngsten Tag und gebieten das Rechte und verbieten das Verwerfliche und beeilen sich mit den guten Dingen. Jene gehören zu den Rechtschaffenen. Und was sie an Gutem tun, das wird ihnen nicht ungedankt bleiben. Und Allah weiß über die Gottesfürchtigen Bescheid.“

Ein weiteres Argument für die relativistische Position besagt, dass der Begriff Islam im Vers, in dem der Islam als die einzig gültige Religion erklärt wird, (3:19) nicht als Nomen mit großem I, sondern als Adjektiv mit kleinem i interpretiert werden sollte. Der Islam sei demnach nicht nur die offizielle religiöse Tradition des Islam, sondern als Gottergebenheit im allgemeinen Sinne zu verstehen. Muslim zu sein oder dem Islam zu folgen sei daher auch für Menschen möglich, die Gottes Anweisungen gehorchen und rechtschaffen seien. Diesem Argument wird aus exklusivistischer Seite oft erwidert, dass der Kontext jener Verse die Kritik an Christen und Juden sei – in Bezug auf ihre Weigerung sich der Botschaft Muhammad´s zu bekennen. Demnach seien die Verse, in denen Christen und Juden gelobt und lobgepriesen zu sein scheinen, nicht als endgültige Billigung bzw. Anerkennung ihrer heilsstiftenden Gültigkeit zu verstehen, sondern als Einleitung, um sie dann schließlich zum Bekenntnis zur Botschaft Muhammads zu überzeugen.

Befürworter der relativistischen Position argumentieren auch, dass die Höllenstrafe nicht ewig sei. Dies basieren sie auf eine authentische Hadithüberlieferung, in der es heißt, Gottes Barmherzigkeit übertreffe seinen Zorn.

3. Alle wahren Wege führen zu dem Einen

Die dritte Position ist die perennialistische Schule, nach der alle himmlischen Religionen, die auf eine göttliche Offenbarung beruhen, eine gemeinsame Wahrheit teilen, auch wenn ihre Anhänger sie über die Zeit verfälscht haben. Nach dieser Schule ist die koranische Kritik früherer religiöser Gemeinschaften wie den Juden und den Christen nur an ihre Mainstream gerichtet, nicht denen, die weiterhin der reinen ursprünglichen Form ihrer religiösen Tradition folgten. Sie argumentieren, dass das göttliche Licht bzw. die göttliche Wahrheit, so manifest ist, dass selbst Verfälschungen etwas von dieser einfangen, sowie es beim Schatten unter der Sonne der Fall ist. Perennialisten behaupten, dass diese Position auf den komplexen Schriften von Ibn Arabi (gest. 1240) beruht.

Fazit

Unabhängig davon, wie man zu der Frage der Erlösung auch stehen mag, in einem Punkt scheinen sich die Gelehrten einig zu sein: „Urteile niemals über individuelle Person mit dem Paradies oder der Hölle, wenn du der Sunna folgen möchtest.“ (Wa lā taḥkumanna ʿalā aḥadin bi’l-janna, wa lā bi’l-nār idhā aradta al-sunna.) Sayyid Hussein Nasr vertritt eine Kompromissposition: Wenn Muslime sich mit Menschen anderer Religionen engagieren, mit ihnen in ein Gespräch treten, sollten sie den göttlichen Ursprung der monotheistischen Religionen im Auge behalten, auch wenn sie fundamentale Uneinigkeiten in ihren Glaubensgrundlagen haben. [4]

Quellen

[1] Abū Ḥāmid al-Ghazālī, The Incoherence of the Philosophers, übersetzt von Michael Marmura (Provo: Brigham Young University Press, 1997), S. 212

[2] Muqbil bin Hādī al-Wādiʿī, Majmūʿ fatāwā al-Wādiʿī, ed. Ṣādiq Muḥammad al-Bayḍānī (2005), S. 414.

[3] Fazlur Rahman, The Major Themes of the Qur’an, 2. Edition (Minneapolis: Bibliotheca Islamica, 1994), S. 166.

[4] Seyyed Hossein Nasr: Islamic-Christian Dialogue: Problems and obstacles to be pondered and overcome. In: Islam and Christian-Muslim Relations. Vol. 11, 2000, Bd. 2, S. 213-227.

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