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#07 | Vom Stammtisch zur Alhambra Gesellschaft: Interview mit Eren Güvercin

Eren Güvercin ist freier Journalist und engagiert sich in der Alhambra Gesellschaft, einem muslimischen Verein, der insbesondere jungen Muslim*innen ein breites Angebot im Bereich der politischen Bildung und der Kunst und Kultur bieten möchte, aber weder Gottesdienste veranstaltet noch Moscheen unterhält. Islam-ist sprach mit Eren Güvercin darüber, wie aus einem kleinen Stammtisch die Idee eines Vereins wurde.

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Das Interview

Islam-ist: Eren, in welche Schublade steckt man dich gern und in welcher würdest du dich gern sehen?

Eren Güvercin: Das kommt immer auf die Perspektive an. Es gibt Muslime, die einen in eine Schublade stecken. Es gibt die Öffentlichkeit, die einen womöglich in eine Schublade steckt. Ich halte generell sehr wenig von Schubladen, weil das immer zu kurz greift, und ich bevorzuge es, in keine Schublade zu passen, weil das immer sehr spannend ist, dann darüber das Gespräch zu suchen.

Islam-ist: Welche Schubladen kennst du denn, in die man so gesteckt wird?

Güvercin: Es gibt ja Begriffe wie konservativer Muslim, liberaler Muslim oder moderner Muslim – oder wie auch immer geartete Labels, die aber nie wirklich die Realität abbilden. Gerade wenn man im innermuslimischen Diskurs bestimmte Themen behandelt, wird man von einigen muslimischen Akteuren sehr schnell in eine liberale Schublade gepackt, was aus der Perspektive eher eine negative Konnotation hat. Und wenn man bestimmte Islam-Diskurse, die im öffentlichen Raum stattfinden, kritisch reflektiert, wird man sehr schnell in eine „konservative Schublade“ gesteckt, weil man einfach bestimmte Diskursmechanismen versucht, kritisch zu reflektieren.

„Ich habe eine gewisse Abneigung gehabt, sich in Vereinen zu engagieren“

Islam-ist: Wie kamst du denn zu deinem Engagement in der Alhambra Gesellschaft?

Güvercin: Ich habe eigentlich immer eine gewisse Abneigung gehabt, sich in Vereinen oder Organisationen zu engagieren, weil das erfahrungsgemäß viel Energie raubt. Und man hat Vorstandssitzungen, man hat bestimmte bürokratische Abläufe. Ich war eher ein bisschen anarchisch unterwegs. Aber es gab so einen Stammtisch von ganz unterschiedlichen muslimischen Freunden, wo wir öfters mal zusammengekommen sind, um bestimmte Themen, die uns wichtig sind, zu diskutieren und Raum zu schaffen, wo man andere Perspektiven auch wahrnimmt, diskutiert und kontroverse Themen aus einer muslimischen Perspektive behandelt.

Islam-ist: Dieser Stammtisch wurde dann immer größer?

Güvercin: Aus diesem Stammtisch hat sich dann irgendwann herauskristallisiert, dass wir uns doch in einer Form organisieren müssen. Dann haben wir die Alhambra Gesellschaft e.V. gegründet, weil wir auch gesehen haben, dass es einen großen Bedarf gibt, gerade bei jungen Muslimen, die mit Herausforderungen in der Gesellschaft zu tun haben. Wir haben gespürt, dass wir auch eine Verantwortung haben, Angebote im Bereich politischer Bildung zu machen. Dass man den öffentlichen Diskurs vielleicht ein Stück weit aufbricht und eine gewisse andere Perspektive einnimmt. Deshalb war die Gründung der Gesellschaft ein sehr, sehr wichtiger Faktor, um den muslimischen Diskurs voranzutreiben und auch öffentlich zu machen. Denn nur bei einem „Stammtisch“ intellektuelle Diskurse zu haben, die aber nicht wirklich öffentlich wahrnehmbar sind, das war uns irgendwann zu wenig.

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Islam-ist: Wie würdest du denn den Kern eurer Arbeit beschreiben? Was habt ihr für Themen- und Arbeitsbereiche?

Güvercin: Wir haben verschiedene Formate wie zum Beispiel Freitagsworte. Auf Freitagsworte.de kommt immer Freitagvormittag ein Text, der aber keine Freitagspredigt ersetzen soll. Aber das, was wir oft in den Freitagspredigten vermissen, versuchen wir darin zum Ausdruck zu bringen, indem wir glaubensrelevante Themen und Fragestellungen in deutscher Sprache behandeln. Eben nicht beruhend auf eine Übersetzung aus dem Türkischen oder Arabischen. Sondern in der schönen deutschen Sprache bestimmten Themen Raum geben und zu formulieren, was Muslimen wichtig ist, die hier sozialisiert sind und die auch einen Bezug zur Lebensrealität haben. Oft haben wir es bei Freitagspredigten mit Predigern zu tun, die keinen sprachlichen Zugang haben, weil sie sehr türkischsprachig geprägt sind. Aber auch die Lebensrealität der in Deutschland lebenden Muslime wird häufig nicht wirklich behandelt. Das ist ein Feld, wo wir versuchen, eine gewisse Sprachfähigkeit herzustellen.

Islam-ist: Und wo noch?

Güvercin: Ein anderes Format ist das muslimische Quartett. Wir haben gesagt, wir können uns über die üblichen Talkshows-Formate immer beschweren und sie kritisieren: Wie bestimmte Stereotype dadurch bedient werden, wie muslimische Perspektiven auf bestimmte Themen dort zu kurz kommen. Wir überlegten stattdessen, ein öffentliches Veranstaltungsformat zu konzipieren, wo Muslime relevante Themen, die im öffentlichen Diskurs überhaupt nicht zur Sprache kommen, diskutieren. Darauf beruhend, versuchen wir jedes Mal in einer anderen Stadt ein muslimisches Quartett mit Kooperationspartnern zu realisieren. Und das funktioniert sehr gut und kommt sowohl bei Muslimen, aber eben auch bei Nicht-Muslime gut an.

Widerstand von muslimischen Verbänden

Islam-ist: Und was sind eure Themen?

Güvercin: Es gibt natürlich eine Bandbreite an Themen. Ein Thema ist natürlich dieses Bild aufzubrechen, dass der Islam in Deutschland irgendwie eine Religion von Migranten sei oder dass das eine fremde Religion sei. Bewusst oder unbewusst bedienen auch manchmal Muslime dieses Bild. Wir definieren uns ganz selbstverständlich als deutsche Muslime. Mein Vater kam in den 60ern als Gastarbeiter nach Deutschland – klassische Gastarbeiterbiografie. Aber ich bin hier geboren, hier aufgewachsen. Deutsch ist die Sprache, die ich am besten beherrsche. Sie ist meine Muttersprache in dem Sinne. Die deutsche Gesellschaft ist meine Heimat, und das versuchen wir ganz klar zu kommunizieren, auch mit inhaltlichen Beiträgen und unseren Formaten.

Wir sind deutsche Muslime. Wir haben in dem Sinne keinen Migrationshintergrund und versuchen, diese typischen Stereotype zu durchbrechen. Andere Themen sind kritische Themen im muslimischen Kontext. Wie geht man etwa mit der Fragestellung Geschlecht um? Wir hatten eine Veranstaltung in Hamburg, wo wir das Thema Macht und Geschlecht auch thematisiert haben. Dabei war eine transsexuelle Muslima auf dem Podium, was eine interessante Erfahrung für ganz unterschiedliche muslimische Teilnehmer war. Wir haben das Thema Antisemitismus unter Muslimen auch thematisiert – mit dem Titel: „Moses lieben, Juden hassen?“. Wir versuchen, aus einer muslimischen Haltung heraus auch zu Tabuthemen im muslimischen Kontext Inhalte zu liefern.

Islam-ist: Stößt du auf Widerstand? Oder gibt es bestimmte Risiken, die du eingehen musst?

Güvercin: Ja, leider – oder vielleicht auch zum Glück, weil es eine gewisse Form der Anerkennung ist, wenn es Widerstand oder Reflexe gibt, die eher negativer Art sind. Da gibt es natürlich auf muslimischer Seite sehr negative Reaktionen, gerade aus Funktionärsebene des einen oder anderen Verbandes, die muslimisches zivilgesellschaftliches Engagement jenseits ihrer eigenen Verbände als Provokation wahrnehmen, das ist leider Fakt. Und wenn junge Muslime sich in einem neuen Verein engagieren, wird das als Frontalangriff wahrgenommen. Es gibt leider diese Realität, dass man da eine gewisse Form von Anfeindungen sieht. Aber, und das ist die positive Seite: Es gibt verdammt viele junge Muslime, auch aus diesen Strukturen, die sich in der Jugendarbeit oder in der lokalen Gemeinde engagieren, die das, was wir an öffentlichen Formaten und inhaltlichen Beiträgen leisten, sehr positiv wahrnehmen. Das ist auch der Grund, wieso man so reflexhaft darauf reagiert, weil man sieht, dass es auch die jungen Leute anspricht.

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