Rafida

(Arab. al-rāfiḍa oder al-rawāfiḍ), wörtlich übersetzt: Ablehnende, Abtrünnige, Truppen, die ihren Anführer verlassen.

Der Begriff Rafida wird in zwei unterschiedlichen Bezügen verwendet:

Im engeren Sinne und aus einer historischen Perspektive heraus betrachtet, wird damit eine Vorläuferbewegung der Imāmiyya bzw. der sich daraus herausgebildeten Zwölferschia bezeichnet.
Im weiteren Sinne und daraus abgewandelt, werden damit auch jegliche Strömungen der Schia bezeichnet.
Es kommt zudem darauf an, wer den Begriff verwendet: Von sunnitischer Seite wird er oftmals als Abwertung der Schiiten im Allgemeinen benutzt. Schiiten hingegen sehen die Bezeichnung sogar als Ehrentitel und Auszeichnung.
Rafida im engeren Sinne: Entstehung der Bewegung
Über die Entstehung der Rāfiḍa-Bewegung gibt es unterschiedliche Versionen. Eine Version bezieht sich auf die Anhänger des hingerichteten Imams Djaʿfar as-Sadiq (gest. 737) und bezeichnet die Anhänger, die sich nach seiner Hinrichtung von ihm distanziert haben.

Eine weitere Version berichtet über die Anfänge der Rafida-Bewegung in Verbindung mit dem Aufstand von Zayd b. Ali (gest. 740) gegen die Umayyaden im Jahre 740. Hier ist eine Gruppe von seinen Anhängern gemeint, die sein Heerlager verlassen haben. Zayd b. Ali war nicht bereit, auf ihre Forderungen einzugehen und die ersten beiden Kalifen Abu Bakr (gest. 634) und Umar (gest. 644) abzulehnen. Nach weiteren Berichten forderten die Abtrünnigen sogar die Ablehnung sämtlicher Gefährten und Gefährtinnen des Propheten Muhammad (Arab.: șaḥāba).

Erste Gemeinden der Rāfiḍa-Bewegung entstanden in Kufa. Die Strömung verbreitete sich Ende des 8. Jahrhunderts bis Qumm. In den folgenden Jahrzehnten wird Qumm das Zentrum der Rāfiḍa-Bewegung, während in Kufa zahlreiche unterschiedliche schiitische Strömungen miteinander konkurrieren. Weitere Zentren entstehen im 9. und 10. Jahrhundert in Ahwaz, Rayy und Nisapur, Tabaristan, Transoxanien. Baghdad wird schließlich zu einem wichtigen theologischen Zentrum ihrer Anhänger.

Mitte des 8. Jahrhunderts bezeichnet der Begriff Rafida in der Literatur häufig Bewegungen, die als Vorläufer der Imāmiyya gelten. Besonders unter Anhängern der Hasaniden wird Propaganda gegen die sogenannten Rafiditen (Arab.: rāfiḍī) betrieben, denen Vielgötterei (Polytheismus) und Abkehr vom Glauben (Häresie) vorgeworfen wird. Häufig wird die Aussage des Propheten Muhammad rezitiert, dass am Ende der Zeit eine Gruppe erscheinen werde, welche ar-rawāfiḍ genannt wird und die den Islam ablehnen werde.

Liest man ältere Literatur, so sollte man also genauer hinschauen, was der jeweilige Autor unter dem Begriff Rafida versteht.

Die positive Bewertung des Begriffes Rafida durch Schiiten

Schiitische Gelehrte kehrten die Abwertung, die ihnen von sunnitischer Seite durch die Anschuldigungen entgegengebracht wurden, sie seien Rafiditen, ins Gegenteil um und bewerteten den Begriff positiv, als Auszeichnung und Ehrentitel. Anlass dazu sahen sie in biblischen Geschichten, die auch im Koran angedeutet werden:

So habe es 70 Gefolgsleute des Pharaos gegeben, die ihm die Gefolgschaft aufkündigten und sich Moses anschlossen. Weitere Versionen berufen sich auf die Geschichte um die Verehrung des Goldenen Kalbes und einer kleinen Gruppe, die dem Priester Aaron die Gefolgschaft verweigerten. Eine dritte Version führt die positive Bewertung des Begriffes Rafidi sogar auf 70 Anhänger von Noah zurück. Zudem behaupteten schiitische Gelehrte, dass nach dem Tod des Propheten Muhammads die meisten seiner Anhänger vom Glauben abgefallen seien. Nur die Schiiten seien die wahren Hüter der Religion.

Welchen Glaubensgrundsätzen folgten die Rafiditen?

Die Rafida-Bewegungen waren extrem antisunnitische Bewegungen. Sie hielten sich jedoch aus der Politik heraus. Grundlagen der Lehre stammen von den Imamen Muhammad al-Baqir und Djafar as-Sadiq:

Gott habe irgendeine Form, seine Attribute unterliegen dem Wandel und er könne auch seine Regeln verändern.
Ali sei ausdrücklich von Muhammad zum Nachfolger durch eine Ernennung (nașș) erwählt und bestimmt worden.
Die Mehrheit der Prophetengefährten seien Sünder und Ungläubige, da sie den vierten Kalifen Ali ibn Abu Talib nicht unterstützt haben.

Die Feinde des Kalifen Ali haben Abschnitte im Koran gelöscht und verfälscht, die ausdrücklich Ali als rechtmäßigen Nachfolger des Propheten Muhammad erwähnen. Somit weiche der Koran von der ursprünglichen wahren Version ab.Imame und ihre Gefolgschaft seien aus einer himmlischen Substanz geschaffen und damit von der gewöhnlichen Welt abgesondert.

Nur Mitglieder dieser Gemeinschaft seien Gläubige, denen der Eintritt ins Paradies garantiert sei. Sie seien selbst dann noch Gläubige, wenn sie sündigen. Imame seien frei von Sünde und Fehlern. Sie sind die höchsten Autoritäten und besitzen allumfassendes Wissen. Ihre Lehren begründen die Lehrmeinung der Bewegung.
Rafida im weiteren Sinne: Polemik zwischen Sunniten und Schiiten

Unter dem abbasidischen Kalifat wird die Rafida-Bewegung stark verfolgt. Von sämtlichen anderen Strömungen werden sie ebenfalls angegriffen und kritisiert. Einige sunnitische Gelehrte akzeptieren jedoch Hadith-Traditionen, die auf Rafidi zurückgehen, andere schließen sie völlig aus.

Seit dem 10. Jahrhundert bis in die heutige Zeit wird der Begriff in einer viel allgemeineren Form als pauschale Abwertung der schiitischen Strömungen insgesamt verwendet. Im Gegenzug nutzen schiitische Repräsentanten, wie z.B. der libanesische Philosoph und Gründer der Amal-Bewegung , Sayyid Mūsā aș-Ṣadr, den Begriff als Auszeichnung für Schiiten, die das Teuflische ablehnen und gegen die Tyrannei revoltieren.

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