Warum lehnen Muslime den Tod des Propheten Jesus am Kreuz ab?

Für MuslimInnen und ChristInnen ist der Prophet Jesus von großer Bedeutung. Neben einigen Gemeinsamkeiten unterscheiden sich die beiden Religionen vor allem in der Deutung seiner Rolle in der Heilsgeschichte Gottes mit den Menschen. So lehnen MuslimInnen das zentrale Bekenntnis des christlichen Glaubens, den Tod des Propheten Jesus am Kreuz und seine Auferstehung, ab.

Der Tod des Propheten Jesus im Koran

Nur an einer einzigen Stelle wird der Tod des Propheten Jesus im Koran thematisiert (Sure 4:157-158). Die Verse gehören zu den geheimnisvollsten Stellen des Korans und können unterschiedlich gedeutet werden.

Die meisten sunnitischen Gelehrten verstehen diese Verse so, dass Jesus nicht am Kreuz gestorben sein kann:

„Und weil sie sprachen: „Wir haben Christus Jesus,
den Sohn Marias, den Gesandten Gottes, getötet!“
Aber sie haben ihn nicht getötet und haben ihn auch nicht gekreuzigt.
Sondern es kam ihnen nur so vor.
Siehe, jene, die darüber uneins sind,
sind wahrlich über ihn im Zweifel.
Kein Wissen haben sie darüber, nur der Vermutung folgen sie.
Sie haben ihn nicht getötet, mit Gewissheit nicht,
vielmehr hat Gott ihn hin zu sich erhoben.
Gott ist mächtig weise.
(Sure 4:157-158)

Die Interpretation der Sure 4: 157-158 ist jedoch nicht so klar, wie es viele muslimische Gelehrte und KorankommentatorInnen darstellen.

Was sagt der Koran über den Tod des Propheten Jesus?
Wie deuten Korankommentatoren den Tod des Propheten Jesus?
Warum Jesus für Muslime wichtig ist?

Im Laufe der Jahrhunderte sind unterschiedliche Deutungen von muslimischen Gelehrten entwickelt worden. Hier sind einige der wichtigsten Argumente zusammengestellt:

Der Tod am Kreuz wäre eine Schande für den Propheten Jesus

Ein Tod am Kreuz ist im Verständnis vieler KoranauslegerInnen eine kaum zu ertragende Schande für einen Propheten. In der Antike wurden vor allem Verbrecher gekreuzigt, der Prophet Jesus wäre folglich den Tod eines Kriminellen gestorben. Viele MuslimInnen sind überzeugt, dass Gott Propheten in der Not rettet und ihnen beisteht.

  • Propheten und Gesandte scheitern nicht: Propheten und Gesandte dürfen letztendlich nicht scheitern. Im Gegenteil, sie sind nach Auffassung vieler KoranauslegerInnen vor allem erfolgreich. Ein Beweis dafür, dass Muhammad ein Gesandter Gottes ist, ist der Erfolg seines Wirkens, die schnelle Eroberung großer Gebiete und die weltweite Ausbreitung des Islams.
  • Ein Mensch kann nicht zwei Mal sterben: Da Gott nach islamischer Tradition Jesus zu sich in den Himmel genommen hat und Jesus am Ende der Zeit wiederkommen wird, muss er noch lebendig sein.
  • Die Aussagen zum Tod des Propheten Jesus in der Bibel widersprechen sich: Muslimische Gelehrte halten Aussagen der Bibel, insbesondere die unterschiedlichen Darstellungen in den vier Evangelien, für so widersprüchlich, dass sie den Tod von Jesus am Kreuz ausschließen.
  • Ein Sterblicher kann keine Erlösung für die Menschen bringen: Grundsätzlich gilt Jesus im Koran als Mensch und nicht als Gottes Sohn. Ein Sterblicher kann jedoch der Menschheit keine Erlösung bringen.

Christliche Theologie als Basis für muslimische Bibelkritik

Sehr populär sind unter muslimischen Gelehrten und Intellektuellen auch heute noch die kritischen Thesen christlicher Theologen des 18. und 19. Jahrhunderts. Sie werden in der innerislamischen Diskussion als Beweise gegen das Christentum angeführt. So nutzten beispielsweise muslimische Reformer, wie Muhammad Abdu (gest. 1905), Rashid Ridda (gest. 1935) oder Sayyid Qutb (gest. 1966) die innerchristlichen theologischen Diskussionen, um die Zuverlässigkeit der Bibel zu widerlegen. Auf dieser Basis versuchen muslimische Gelehrte auch heute nachzuweisen, dass ChristInnen die Botschaft von Jesus verfälscht hätten: Die Idee von der Kreuzigung sei zum Beispiel heidnischen Ursprungs. Christliche Dogmen, wie die Trinität, Gottessohnschaft von Jesus oder Erlösung der Menschen von der Sünde seien Neuerungen, die erst durch den Apostel Paulus eingeführt wurden.

Quellen

Christine Schirrmacher. The Islamic View of Major Christian Teachings. Bonn, 2008. S. 89-94.
Hartmut Bobzin, Der Koran, München 2010, Sure 4:157-158

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