Wie ist aus dem Koran ein Buch entstanden?

Der Prophet Muhammad (ca. 570-632) empfing in einer Serie von Offenbarungen Gottes Botschaft und wurde von ihm beauftragt, diese zu übermitteln. Er verbreitete diese Botschaften zunächst mündlich. Einen schriftlichen Text erhielt der Prophet nicht. Der Zeitraum dieser Offenbarungen erstreckte sich über etwa 21 Jahre von 610-632. Der Koran in der heutigen Form als Buch entstand erst nach dem Tode des Propheten.

Der Koran wurde anfangs mündlich offenbart und verbreitet

Über einen langen Zeitraum von etwa 21 Jahren verkündete der Prophet Muhammad die an ihn herabgesandten Offenbarungen mündlich. Seine Zuhörer verbreiteten diese Botschaften ebenfalls mündlich. Auf der Arabischen Halbinsel war dies zu Lebzeiten des Propheten die übliche Praxis. Bücher, Briefe oder schriftliche Dokumente waren dagegen selten. Die Menschen waren damals zudem darin geübt, auch lange Texte in kurzer Zeit nur durch Zuhören auswendig zu lernen. Der mündliche Vortrag galt sogar als zuverlässiger, als ein schriftlicher Text. Das Wort Koran bedeutet daher auch „Rezitation“ oder „Vortrag“.

Notizen dienten als Erinnerungshilfen

Sehr wahrscheinlich haben die Zuhörer des Propheten Muhammads bereits erste Notizen gemacht. Allerdings konnten nur sehr wenige gebildete Persönlichkeiten überhaupt schreiben. Die Notizen dienten ihnen zudem eher als Erinnerungshilfen zum Auswendiglernen, um selbst die Offenbarungen weiter mündlich zu verbreiten. Geschrieben wurde damals schon in arabischer Sprache und Schrift. Als Schreibmaterialien waren damals Papyrus, Pergament, Holz oder auch breite Knochen üblich. Die arabische Sprache war zu Lebzeiten des Propheten Muhammad auf der Arabischen Halbinsel bereits so verbreitet, dass sie als Hauptsprache der Region diente. Auch die arabische Schrift war schon in einer Frühform bekannt. Allerdings hatte das Alphabet zu Lebzeiten des Propheten nur 18 statt der heute üblichen 28 Buchstaben.

Erste Textsammlungen des Korans

Islamische Historiker, wie al-Bukhari (gest. 870), Ibn Hadschar al-Asqalani (gest. 1449) oder Umar b. al-Khattab (gest. 644), bestätigen, dass zum Tode des Propheten Muhammad im Jahre 632 noch kein abgeschlossener, von ihm autorisierter Text des Korans vorhanden war. Es finden sich jedoch schon zahlreiche Hinweise, dass es Notizen über die Offenbarungen gab. Vor allem aber lebten eine große Zahl von engen Gefolgsleuten, die die Offenbarungen auswendig kannten und sie mündlich verbreiteten. Vom Prophet Muhammad wird zudem berichtet, dass er mehrere Schreiber beschäftigte, die mit der Abfassung von Korrespondenz und Verträgen beauftragt waren.

Zumindest von einem Schreiber des Propheten, Zaid ibn Thabit (gest. zwischen 662 und 676), wird berichtet, dass er offenbar auch schon zu Lebzeiten von Muhammad Offenbarungen niedergeschrieben hatte. Für seine Zeitgenossen galt Zaid ibn Thabit als besonders kompetent. Zaid ibn Thabit wird nach dem Tode des Propheten zur zentralen Persönlichkeit einer ersten Sammlung von Korantexten.

Warum werden die Offenbarungen schriftlich zum Koran zusammengefasst?

Die Sammlung der Erinnerungen an die Offenbarungen des Propheten Muhammad wurde nach seinem Tode dringend notwendig, da in kurzer Zeit viele seiner Gefährten und Kenner der Offenbarungen starben. So fielen eine große Zahl von ihnen während der Ridda-Kämpfe (632-33) und der Eroberungszüge gegen das persische und byzantinische Großreich. Der Kalif Abu Bakr war daher ernsthaft um das bislang überwiegend mündlich weitergegebene Wissen der Offenbarungen besorgt. Er befahl, das gesamte Wissen zu sammeln und niederzuschreiben und beauftragte Zaid ibn Thabit mit der Abfassung.

Die Entscheidung des Kalifen Abu Bakr war eine aufsehenerregende Neuerung in der damaligen Gesellschaft der Arabischen Halbinsel. In Buchform wurde Wissen auf der Arabischen Halbinsel zu dieser Zeit noch nicht in arabischer Sprache vermittelt. Das Gedächtnis und die persönliche mündliche Weitergabe dominierte die Vermittlung von Wissen. Mit der mündlichen Weitergabe war auch die Kette der jeweiligen Gewährsleute, die dieses Wissen weitervermittelten, eng verbunden. Wie wichtig in so einer Kultur eine mündliche Weitergabe von Wissen über eine zuverlässige Kette der Überlieferer (arab. isnad) gewesen ist, ist deutlich aus der Literatur über die Überlieferungen und Traditionen des Propheten (arab. sunna) zu erkennen. Bis heute ist eine zuverlässige Kette der Überlieferer ein zentrales Kriterium in der Bewertung von Hadithen.

Unter dem Kalifen Uthman wird ein verbindlicher Koran zusammengestellt

Wie weit Zaid ibn Thabit mit seiner schriftlichen Sammlung von Offenbarungstexten kam, ist nicht bekannt.

Unter den Kalifen Umar (reg. 634-644) und Uthman (reg. 644-656) wurden die Bemühungen jedoch weiter fortgesetzt, weil eine einheitliche Basis für die Lehre des Islams durch die Eroberungszüge noch dringlicher wurde. Das Herrschaftsgebiet der muslimischen Kalifen dehnte sich durch die erfolgreichen Eroberungszüge so weit aus, dass man mit den damaligen Kommunikationsmitteln nur noch schwer Kontakt halten konnte. Da auch Kenner der Offenbarung mit den Heeren mitzogen, lebten diese ebenfalls weit voneinander getrennt.

In den neuen Zentren, den islamischen Heerlagern von Basra, Kufa, Homs oder Fustat (Kairo) entstanden daraufhin eigene Traditionen der Erinnerung an die Offenbarungen des Propheten Muhammad. Neben einem gemeinsamen Wissensschatz entwickelten sich auch abweichende Varianten der Erinnerung. Unter dem dritten Kalifen Uthman gelang schließlich eine stärkere Vereinheitlichung der unterschiedlichen Traditionen, die bis heute gültig ist. Der Kalif Uthman rief ein Gremium zusammen, das die vorhandenen Traditionen und Schriftstücke zusammenfasste. Diese einheitliche, schriftlich fixierte Version der Offenbarung, die uthmanische Koranversion, wurde an die jeweiligen Heerlager, mit dem Befehl versandt, dort vorhandene, abweichende Versionen zu vernichten. Ab diesem Zeitpunkt sollte nur noch der Text der uthmanischen Redaktion gelten.

Widerstand gegen die Koranredaktion des Kalifen Uthman

Es gab jedoch heftige Proteste gegen die uthmanische Version, besonders in Kufa. Welche anderen Versionen noch im Umlauf waren, kann heute nur noch in Fragmenten rekonstruiert werden, da abweichende Texte vernichtet werden sollten. Dennoch sind Spuren anderer Fassungen und abweichender Lesarten in islamischen Quellen erhalten geblieben. Z.B. Teile einer eigenen Zusammenstellung des Prophetengefährten Abdallah b. Mas’ud (gest. 652-53), der sich schon vor den Eroberungszügen in Kufa niederließ. Seine Version war sehr beliebt unter den Anhängern Ali’s. Wohingegen der unter Uthman erstellte Text von den Anhängern der Umayyaden gefördert wurde. Neben der Koran-Version von Abdallah b. Mas’ud werden in islamischen Quellen noch weitere genannt. Zaid b. Thabit, Ubaji b. Ka’b (gest. nach 650) und besonders die Traditionen unter Schiiten, dass der spätere vierte Kalif Ali (gest. 661) bereits unmittelbar nach dem Tode von Muhammad einen Koran zusammengestellt hat. Ein weiterer Grund für Dispute war der mehrdeutige arabische Konsonantentext und die fehlende Vokalisation. Erst ab 700 setzte sich ein eindeutiger Konsonantentext und eine Vokalisation durch.

Der uthmanische Koran setzt sich durch

Die von dem Kalifen Uthman erstellte Textversion setzte sich im Laufe der islamischen Geschichte durch. Sie ist auch heute die Basis für aktuelle Koran-Editionen. Aber die Vielfalt der Positionen und Traditionen der Erinnerungen an die Offenbarungen blieb ebenfalls gewahrt. So gelangten nach vielen Disputen islamische Gelehrte im 8. Jahrhundert zu einem Kompromiss über die weiterhin gelehrten, abweichenden Erinnerungen. Sieben alternative Lesarten des Korans werden seitdem als gleichberechtigte kanonische Lesarten akzeptiert und zeugen vom ergänzenden Nebeneinander von mündlicher und schriftlicher Tradition und der Bewahrung von Vielfalt im Islam.

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