Johann Wolfgang von Goethe und der „West-Östliche Divan“

„Gottes ist der Orient! – Gottes ist der Okzident! Nord- und südliches Gelände – Ruht im Frieden seiner Hände.“

Das sind die eindringlichen Worte, durch die Goethe in seinem Werk „West-Östlicher Divan“ tief in sein Inneres blicken lässt. Wenn es um die deutsche Sprache und Kultur geht, fällt schnell der Name Johann Wolfgang (von) Goethe. Dabei wird seine Zuneigung, sein Interesse und seine tiefgründige Auseinandersetzung mit Islam und Muslim*innen entweder vergessen oder übergangen.

Goethe schrieb schon junge über den Islam

Der studierte und mit seiner Berufswahl unglückliche Jurist wurde im Jahr 1749 in Frankfurt am Main geboren und hatte bereits in seinen Zwanzigern ein ausgeprägtes Interesse zum „Orient“. Geboren und aufgewachsen in der Zeit der Aufklärung, geprägt von Werken wie Gotthold Ephraim Lessings „Nathan der Weise“ und einem sich allgemein entwickelnden Interesse gewisser Teile der Gesellschaft am Islam und Muslim*innen, schrieb Goethe als 23-Jähriger in einem Brief an niemand geringeren als Johann Gottfried Herder: „Ich möchte beten wie Moses im Koran: Herr mache mir Raum in meiner engen Brust.“

Goethe pries den Propheten Muhammad

Inspiriert und angetrieben durch den einige Jahre älteren Theologen, Philosophen, Dichter und Übersetzer Herder befasste Goethe sich ab 1771 generell viel mit ersten Übersetzungen des Korans. Es dauerte nicht lang bis ihm der Koran ähnlich vertraut war wie zum Beispiel die Bibel, sodass er 1772 ein Gedicht namens „Mahomets Gesang“ schrieb, in dem er nach Interpretation vieler Wissenschaftler*innen den Propheten Muhammad pries und lobte.

Viele Jahre danach übersetzte Goethe im Auftrag seines Dienstherren Herzog Carl August ein Theaterstück des französischen Aufklärers Voltaire namens „le fanatisme ou Mahomet le prophète“. Darin wird der Prophet als Fanatiker dargestellt, was Goethe nachweislich sehr verstimmte und die Übersetzung nur widerwillig und mit Abweichungen vom Original anfertigte.

Koran-Lesestunden im Hause Goethe

Johann Wolfgang von Goethes Interesse an Kulturgütern aus Persien und anderen muslimisch geprägten Regionen der Welt äußerte sich auch daran, dass er in seiner Zeit dafür bekannt war, alle möglichen Bücher und Übersetzungen zu kaufen und anzuhäufen. Während der Koalitionskriege gegen Napoleon im Jahre 1813/14 waren muslimisch-baschkirische Einheiten der Zarenarmee Russlands in Weimar stationiert, mit denen Goethe stetigen Kontakt suchte und die Gelegenheit auch zum Anlass nahm, Koran-Lesestunden für die örtliche Elite zu organisieren. Die Offiziere und Soldaten hielten Freitag- und Festtagsgebete im protestantischen Gymnasium ab und wurden vermutlich auch einige Male im Hause Goethe zum Essen eingeladen.

War Goethe selbst Muslim?

Im Jahr 1814 bekam Goethe ein für ihn prägendes Geschenk: der Verleger Johann Friedrich Cotta schenkte ihm das gerade übersetzte Gesamtwerk des persischen Dichters Mohammed Schams ad-Din Hafis. Darin befindet sich auch sein bekanntestes Werk „Diwan“, ein nicht ungewöhnlicher Name für ein persisches oder arabisches Werk und dennoch wichtig für einen weiteren Diwan, den von Goethe selber.

Beeindruckt von dem persischen Dichter, seiner Biographie, Sprache, Ästhetik und Dichtkunst, machte Goethe ihn zu einer Figur in seinem „West-Östlichen Divan“ und nannte einen Abschnitt „Buch Hafis“. Darin schreibt Goethe unter Anderem:

Närrisch, daß jeder in seinem Falle
Seine besondere Meinung preist!
Wenn Islam »Gott ergeben« heißt,
In Islam leben und sterben wir alle.

Es gibt einige Muslim*innen, die sich intensiv mit dem Gesamtwerk von Goethe auseinandergesetzt haben und der Meinung sind, dass er selbst ein Muslim gewesen ist. Da er selbst nicht gefragt werden kann, bleibt es wohl ein Diskussionspunkt. Klar ist: Goethe sah in Vielfalt und Pluralität mehr Chancen als in anderen gesellschaftlichen Entwicklungen, die bis heute nicht so eingetreten sind, wie er es vor 200 Jahren bereits anstrebte.

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