Kann der Koran übersetzt werden?

Seit Jahrhunderten vertritt die Mehrheit der muslimischen Gelehrten die Überzeugung, der arabische Text des Korans sei nicht übersetzbar. Es hat zwar schon früh in der islamischen Geschichte Übersetzungen des Korans in anderen Sprachen gegeben. Umfangreiche Bemühungen von muslimischen Gelehrten, den Koran in wichtige Sprachen der Welt zu übersetzen, beginnen jedoch erst vor wenigen Jahrzehnten. Weiterhin ist die Bibel das am meisten übersetzte Buch der Welt. Warum?

Arabisch ist die Offenbarung des Willen Gottes

Für Muslime gilt der arabische Text des Korans als unverfälschtes göttliches Wort. Dieses Wissen wird sogar in einer Form von „Urkoran“ als „verwahrte Tafel“ (Sure 85, 22; Sure 56, 77) im Himmel bei Gott aufbewahrt:

Wahrlich, es ist eine ruhmreiche Lesung (qur’an),
auf einer bewahrten Tafel.

Übersetzung nach Angelika Neuwirth. Der Koran als Text der Spätantike.
S. 133. Sure 85, 22

Durch Gottes Offenbarungen an den Propheten Muhammad hat die Menschheit nun Zugang zu diesem Wissen. Jedes Exemplar eines Korans gilt daher als geheiligt und wird häufig an einer besonderen, erhöhten Stelle im Haus aufbewahrt. Man sollte ihn sogar nur dann benutzten, wenn man sich zuvor rituell gereinigt hat.

Der Prophet Muhammad hat dabei im Prozess der Offenbarungen nur die vermittelnde Rolle übernommen, die von Gott an ihn gesandten Offenbarungen weiterzugeben. Er wird dadurch zum Gesandten Gottes. Es gibt sogar Stellen im Koran, wo Muhammad eine frühere Aussage durch eine spätere Offenbarung korrigierte, da er die Offenbarung nun richtig und vollständig verstanden habe.

Unnachahmliche schöne, vollkommene Sprache des Korans

Ein weiterer wichtiger Glaubensgrundsatz ist die Schönheit und Unnachahmlichkeit der arabischen Worte und des gesamten sprachlichen Stils des Korans. Die einzigartige Komposition des arabischen Textes gilt daher für Muslime als ein weiterer Beweis für den göttlichen Ursprung. Eine Übersetzung kann diese sprachliche Vollkommenheit nicht wiedergeben. Im Koran selbst wird an mehreren Stellen betont, dass selbst ein Bündnis aus Menschen, Dschinns etc. nicht fähig wäre, solche herausragenden Texte zu schaffen, wie sie im Koran stehen.

Wer die altarabische Sprache des Korans lesen kann, wird schnell feststellen, dass die teils seltenen und ungewöhnlichen Worte, die Grammatik und die Poesie viele Besonderheiten zeigen. Von Muhammad selbst wird berichtet, dass seine Gegner ihn für einen altarabischen Poeten gehalten haben. Sprachliche Ähnlichkeiten bestehen tatsächlich zu der auch heute noch hoch geschätzten altarabischen Poesie. Aber weltweit herrscht Einigkeit darüber, dass im Text des Korans eine neue sprachliche Form der Reimprosa vorliegt, zu der man bis dahin keinen vergleichbaren Text kennt.

Für manche Strömungen des Islams, z.B. im Sufismus, der islamischen Mystik, liegen zudem ungeahnte Geheimnisse in der Anordnung der arabischen Buchstaben und Verse. Auch diese Lehren sind nur nachvollziehbar, wenn man den arabischen Text des Korans sieht und lesen kann.

Die Offenbarung in der arabischen Sprache des 7. Jahrhunderts und die einzigartige schöne Komposition des arabischen Textes sind somit kaum zu überwindende Stufen für Übersetzungsbemühungen des Korans.

Warum gibt es dennoch Übersetzungen des Korans?

Für viele Muslime ist es daher undenkbar, den Koran in eine andere Sprache zu übersetzen. Trotzdem gibt es seit frühislamischer Zeit Versuche von Muslimen, den arabischen Text in andere Sprachen zu übertragen.

In den Erläuterungen und Vorworten zu vielen nichtarabischen Koranausgaben wird daher häufig vermieden, von einer Übersetzung zu sprechen. Man formuliert viel vorsichtiger und spricht davon, dass man versucht hat, die Bedeutung des arabischen Textes zu übertragen. Einige Koranausgaben sind daher auch doppelsprachige Ausgaben, in denen man parallel den arabischen Originaltext des Korans mit der jeweiligen Übertragung in eine andere Sprache vergleichen kann.

Der Hintergrund für dieses Vorgehen liegt in der Einsicht, dass ein bloßes Auswendiglernen des Korans und mangelnde Arabischkenntnisse nicht zu einem tieferen Verständnis des arabischen Korantextes führen kann. Aus dem 10. Jahrhundert sind daher zweisprachige Koranübersetzungen in Persien nachweisbar. Sogar Koranrezitationen in persischer Sprache scheinen erlaubt gewesen zu sein. Üblich waren auch Koranhandschriften, in denen schwierige und seltene arabische Worte durch Bemerkungen in der jeweiligen Volkssprache erläutert wurden. Besonders wichtig war daher auch die Freitagspredigt für die Vermittlung von Wissen gewesen, da diese in den jeweiligen Volkssprachen gehalten wurde.

Beispiele von frühen Koranübersetzungen

In der Türkei wurden unter Atatürk türkische Korane in lateinischer Schrift verbreitet. Dies bedeutete einen doppelten Bruch zur gängigen Lehre: Koran in arabischer Sprache und arabischer Schrift! Es folgte eine heftige Debatte mit den Gelehrten der al-Azhar Moschee in Kairo.

Auch in Indien bemühte man sich im 19. Jahrhundert eine Übersetzung des Korans. Die Ahmadiya Bewegung verbreitete zu Missionszwecken zweisprachige Koranausgaben in lokalen Sprachen.

Seit einigen Jahrzehnten verbreitet die König-Fahd-Akademie weltweit zweisprachige Koranausgaben in zahlreichen wichtigen Weltsprachen in einem groß angelegten Übertragungsprogramm.

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