Warum sind die ältesten Koranhandschriften nicht eindeutig lesbar?

In den frühesten Koranen fehlen zahlreiche wichtige Zeichen, die heute selbstverständlich zum arabischen Alphabet dazugehören. Sie sind auch in heutigen modernen Korandrucken enthalten und selbstverständlich. Es sind Striche und Punkte, die dazu dienen, arabische Buchstaben und Vokale eindeutig zu kennzeichnen. Für jemanden, der die arabische Sprache nicht fließend beherrscht und zudem den Text nicht auswendig kennt, sind sie unverzichtbare Lese- und Verständnishilfen.

Solange das arabische Alphabet und die Schrift noch nicht voll entwickelt waren, war es daher unbedingt notwendig, dass Kenner der mündlichen Überlieferung der Offenbarungen den Korantext vermittelten. Nur so konnte der schriftliche Koran auch mit einer gewissen Zuverlässigkeit im Verständnis gelesen und von Generation zu Generation weitergegeben werden.

Erst zum Ende des 9. Jahrhunderts, also etwa zweihundert Jahre nach der Niederschrift der ersten Korane, kommt die Entwicklung der arabischen Schriftzeichen zu einem Abschluss. Zu ihren wichtigsten Neuerungen im Korantext zählen:

  • Die Einführung von diakritischen Zeichen (arab. tanqit), die zu einer eindeutigen Unterscheidung der Buchstaben gleicher Form führt. So konnte man vorher in Texten nicht immer mit absoluter Sicherheit erkennen, ob es sich z.B. um ein T, TH oder B handelt.
  • Weiterhin kamen Hilfszeichen für die Vokale a, i und u hinzu (arab. taschkil), die ebenfalls eine entscheidende Hilfe zum Lesen und Verstehen bildeten. Beispielsweise konnte man nun eindeutiger erkennen, ob ein Verb im Passiv oder im Aktiv stand, z.B.: „straft er“ oder „wurde er bestraft“.

Muslimische Gelehrte gingen dabei sehr sorgfältig mit der Überlieferung der Offenbarung vor. Wenn sie etwas Neues einführten, dann kennzeichneten sie es. So setzten sie diese zusätzlichen wichtigen Lese- und Verständnishilfen in den ältesten Koranhandschriften farblich von der schwarzen oder bräunlichen Tinte des bis dahin überlieferten Textes ab. In den sehr alten Handschriftenfragmenten, die in der Freitagsmoschee der Altstadt von Sanaa in Jemen gefunden wurden, erkennt man sie z.B. als rote, gelbe oder auch grüne Punkte.

Ähnlich vorsichtig gingen die frühen muslimischen Gelehrte bei überlieferten Varianten der Lesarten des schriftlichen Korantextes und bei den verschiedenen überlieferten Vortragsweisen des Korans vor. Man untersuchte sie auf ihre Zuverlässigkeit und überlieferte die möglichen unterschiedlichen Varianten als gleichberechtigte Versionen der Offenbarung.

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