Verändert sich das muslimische Verständnis vom Tod Jesus?

Das Leiden und Sterben des Propheten Jesus am Kreuz (Passion) und seine Auferstehung sind zentrale Bekenntnisse des christlichen Glaubens. Während der Kreuzestod des Propheten Jesus als Zeichen der Ablehnung von Gottes Botschaft durch die Menschheit gilt, zeigt die Auferstehung und das Erscheinen des Propheten Jesus Gottes Handeln in der Welt. Für ChristInnen sind daher Karfreitag und Ostern die wichtigsten religiösen Feiertage: An Karfreitag erinnert man sich an den Verrat, das Leiden und den Tod Jesu, an Ostern hingegen feiert man freudig die Auferstehung.

Auch der Koran erwähnt die Kreuzigung von Jesus. Aber MuslimInnen feiern Ostern nicht, obwohl auch für sie Jesus von großer Bedeutung ist und zu den herausragenden Propheten des Islams gehört. MuslimInnen deuten die Ereignisse rund um Jesus Tod grundsätzlich anders als ChristInnen.

Muslimische Gelehrte hinterfragen jedoch seit einigen Jahren die bisher überlieferte Deutungspraxis. Wird sich das muslimische Verständnis zur Bedeutung des Todes Jesu grundsätzlich wandeln? Fördert ein neues Nachdenken über seine Passion ein besseres Verstehen zwischen ChristInnen und MuslimInnen?

Verneint der Koran wirklich den Tod des Propheten Jesus?

Einige Theologen, wie Mahmoud Ayoub oder Gabriel Said Reynold, untersuchen die zentralen Verse der Sure 4:157-158 neu. Verneint der Koran tatsächlich den Tod von Jesus am Kreuz? Für die beiden gibt es weitere Möglichkeiten des Verständnisses, wenn man bereit ist, die überlieferte Brille der Traditionen und Kommentare abzulegen und die Verse im Zusammenhang neu zudeuten. Ihre Thesen sind:

Auch im Koran sterben Propheten durch menschliche Gewalt. So heißt es in Sure 4, Vers 155:

Weil sie ihren Bund gebrochen hatten und Gottes Zeichen leugneten und die Propheten grundlos töteten…

Und weiterhin heißt es in Sure 3:

Gott hat gehört die Rede derer, welche sprachen: „Siehe, Gott ist arm und wir sind reich.“ Aufschreiben werden wir das, was sie sagten,und dass sie die Propheten grundlos töteten. Wir werden sagen: „Schmeckt die Strafe des Feuerbrands!“
(Sure 3:181).

Auch in den klassischen Kommentarwerken wie z. B. bei at-Tabari (gest. 923) und Ibn Kathir (gest. 1373) sind zahlreiche Traditionen zu finden, die berichten, dass Jesus bereits vor seiner Himmelfahrt starb.

Hadithe, die berichten, wie Jesus dem Tod entkam, sind widersprüchlich und variantenreich, obwohl sie starke Überliefererketten haben.

Auch sprachwissenschaftlich sind zwei Stellen im Koran auffallend: Das Verb „tawaffa“ bedeutet „sterben, Trennung der Seele vom Körper“. Es kommt mit Variationen 25 Mal im Koran vor. An 23 Stellen wird es in diesem Sinne auch ins Deutsche von den meisten übersetzt. An den restlichen zwei Stellen (Sure 3:55 und 5:117) steht es im Zusammenhang mit Jesus. Gerade bei diesen beiden Stellen ist die Mehrheit der sunnitischen Gelehrten jedoch überzeugt, „tawaffa“ habe eine andere Bedeutung.

Hier die Übertragung von Bobzin von Sure 3, Vers 55:

Damals als Gott sprach: „Jesus, siehe, ich will dich zu mir nehmen und dich zu mir erhöhen…

Und Sure 5, Vers 117:

… Doch als du mich zu dir abberufen hast, …

Bobzin übersetzt in Sure 3:55 („mutawaffika“) mit „zu mir nehmen“ und in Sure 5:117 („tawaffaytanie“) mit „abberufen“. Er folgt damit den Aussagen von Korankommentatoren wie z.B. Ibn Kathir, die zwar eingestehen, dass das Wort eigentlich Tod und Sterben ausdrückt, erklären aber, in Verbindung mit Jesus habe es nicht diese Bedeutung.

Muhammad Asad übersetzt dagegen Sure 3, Vers 55:

Siehe! Gott sagte: „Oh Jesus! Wahrscheinlich, Ich werde dich sterben lassen und werde dich zu Mir erhöhen und dich reinigen …

Und Sure 5, Vers 117 übersetzt Muhammad Asad:

… seit Du mich hast sterben lassen, bist Du allein ihr Wächter gewesen: …

So steht eine These im Raum, die es weiter zu prüfen gilt: In der Übersetzung dieser Stellen hat sich offenbar traditionell der Glaube durchgesetzt, dass Jesus erst am Ende der Zeit nach seiner Wiederkehr stirbt. Somit übersetzen Kommentatoren wie Koranübersetzer, die dieser Überzeugung folgen, das Wort nicht im Sinne von „sterben“, andere dagegen, wie Muhammad Asad, bleiben beim eigentlichen Wortsinn.

Quellen

Gabriel Said Reynold. The Muslim Jesus: Dead or Alive? In: BSOAS Vol. 72, Nr. 2 (2009), S. 238 ff.

zurück