#11 | Ehre und Scham im Islam – Interview mit Ali Ghandour

Wo liegen die Ursprünge der Idee von Ehre und Scham im Islam? Welche Unterscheidungen und Auslegungen gibt es bei den Begriffen? Wie wird Ehre und Scham bezogen auf Frauen und Männer unterschiedlich verstanden und gelebt: Was gilt als „ehrwürdig“, was nicht? Und wie kommt es überhaupt dazu, dass sich jemand „schämt“? Darüber spricht Burcu von Islam-ist mit Dr. Ali Ghandour in dieser Folge.

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Der Koran

Wenn man an „Ehre“ und „Scham“ denkt, verbindet man diese häufiger mit kulturell geprägten Bildern oder patriarchalischen Genderkonzepten. Doch was findet man über „Ehre“ und „Scham“ im Koran und in der Sunna des Propheten Mohammad? Bevor man diesen Fragen auf den Grund geht, ist es notwendig, überhaupt erst zu verstehen, wie Scham und Ehre unterschiedlich definiert und interpretiert werden können und wo diese Konzepte ihre Ursprünge haben.

Ehre und Scham durch religiöse Interpretation legitimiert

Dr. Ali Ghandour erklärt, dass historisch betrachtet Menschen nach Mechanismen gesucht haben, um Familien zu strukturieren, Rollen aufzuteilen, Regeln und Rechte (Erbrecht, Bürge usw.) aufzustellen. Hierbei wurden gesellschaftliche Kontrollmechanismen entwickelt, die besonders die Sexualität der Frauen kontrolliert haben. So wurden viele Bräuche, die schon zu vorislamischer Zeit existierten, weiter gepflegt und mit der Zeit islamisiert. Dadurch wurden bestimmte Konzepte von Ehre und Scham durch religiöse Interpretation legitimiert. Dr. Ali Ghandour betont hierbei die Wichtigkeit zwischen der Botschaft des Propheten Muhammad und der Religion als „Menschenprodukt“ zu unterscheiden.

Ehre weder in Koran, noch in Sunna

Der Begriff „Ehre“ taucht demnach weder im Koran, noch in der Sunna auf, doch es wird über die Würde des Menschen gesprochen. Die Würde hat hierbei mit dem Wesen oder der Schöpfung des Menschen zu tun, wird aber in der arabischen Sprache häufiger mit Ehre (arab. „Sharaf“) verwechselt. Der Begriff „Scham“ hingegen taucht im Koran in Bezug auf Gott und auch bzgl. einer Frau auf. Dies habe aber nicht viel mit dem heutigen Konzept von Scham zu tun, sondern mit sündhaften oder ungerechten Verhalten anderen Menschen gegenüber: „Ich schäme mich etwas Sündhaftes zu tun. Ich schäme mich ungerecht zu sein [und] anderen zu schaden […]. Man schämt sich also vor Gott.“

Dr. Ali Ghandour ist 1983 in Casablanca, Marokko geboren und hat Arabistik und Politikwissenschaft mit Schwerpunkt Islamwissenschaft in Leipzig studiert und im Fach Islamische Theologie promoviert. Er wohnt in Hamburg, lehrt in Münster und beschäftigt sich viel mit Ethik, Geschlechtforschung und Sexualität. Ali Ghandour hat mehrer Bücher geschrieben, zuletzt erschien 2019 von ihm „Liebe, Sex und Allah: Das unterdrückte erotische Erbe der Muslime“.

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