#17 | „Der Tod ist etwas sehr Sensibles“ – Interview mit Imam Ahmad Schekeb Popal
Über den Tod gibt es verschiedenste Vorstellungen. Aber in unserem Alltag reden wir nur selten über den Tod. Deshalb haben wir darüber mit jemandem gesprochen, für den der Tod in all seinen Facetten jeden Tag auch in seiner ehrenamtlichen und beruflichen Arbeit gegenwärtig ist, dem Münchner Imam, Seelsorger und Bestatter Ahmad Schekeb Popal.
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Islam-ist: Wir Menschen sind so individuell, haben verschiedene Vorstellungen, Werte, Träume, Wege. Aber wir alle haben ein Ende haben. Also wenn es einen Wahrheitsanspruch gibt, dann darauf. Was unsere Kulturen und Religionen wiederum unterscheidet, ist der Umgang mit dem Tod. Selbst unter Muslim*innen gibt es völlig verschiedene Herangehensweisen. Was ist das eigentlich im Islam: der Tod?
Ahmad Schekeb Popal: Der Tod ist ein sehr persönlicher Moment, etwas sehr Intensives im Islam. Der Tod ist etwas, was uns berührt, was uns angeht, was uns nicht egal sein kann. Es heißt in einer wundervollen Überlieferung, dass der Leichnam eines Juden getragen wurde und der Prophet Mohammed, Frieden und Segen sei über ihm, ist aufgestanden. Die Gefährten sagten: Warum stehst du auf? Das ist doch kein Muslim, der glaubt doch nicht an unsere Religion, an unsere Überzeugungen. Sie haben eine andere Religion. Warum stehst du für seinen Leichnam auf? Und der Prophet sagte: Aber er ist ein Mensch. Das heißt, der Prophet Mohammed zeigt uns, dass der Tod der größte gemeinsame Nenner ist, dass der Tod uns alle verbindet. Wir haben dieselbe Reise vor uns, dasselbe Ziel. Der Tod ist nicht der kleinste gemeinsame Nenner, sondern mit Pythagoras gesprochen, ist er der größte gemeinsame Nenner.
Beerdigung im Islam
Islam-ist: Wie geht man mit dem Thema Tod in Deutschland um? Also bezogen auf die muslimische Community?
Popal: Es ist ein kompliziertes Thema, weil verschiedene kulturelle Vorstellungen und Wünsche damit verbunden sind. Einige wünschen sich, diese Welt im Heimatland zu verlassen, andere in einem muslimischen Land, und jeder hat gewisse Vorstellungen und Wünsche, wie man sozusagen diese Welt verlassen will. Es ist schwierig, denn viele haben Vorbehalte, kulturelle Vorstellungen. Man kann den Vorstellungen nicht gerecht werden. Gerade in Zeiten von Corona ist es noch schwieriger, den Wünschen entgegenkommen zu können – als Bestatter, als Friedhofsverwaltung, als Organisatoren, als Moscheegemeinde. Wir sind ja sozusagen Multiplikatoren. Wir sind die Vermittler. Man spricht von Trauer, Zeremonie und von der Trauerfeier, dass man was auf die schönste Art und Weise macht.
Islam-ist: Wie ist denn die Situation von islamischen Friedhöfen in Deutschland? Gibt es überhaupt genug und wenn ja, wie sind dort die Regelungen? Kann dort eine islamische Bestattung stattfinden?
Popal: Deutschland hat ein Rechtswesen, das sich religionsneutral beschreibt, was wiederum bedeutet, allen wird die gleiche Chance gegeben. Solange es nicht vehement gegen das hiesige Recht spricht. Es gibt gewisse Prozesse in der islamischen natürlichen Beerdigung, wie es traditionell gemacht wird. Die können wir so nicht machen. Zum Beispiel jemanden ohne einen Sarg zu beerdigen. Das ist derzeit noch nicht in jedem Bundesland möchlich, und wenn, dann auch unter Auflagen. In manchen Bundesländern gibt es nich eine sogenannte Sargpflicht. Man muss ein Sarg haben und ansonsten gibt es Bereiche, wo Muslime beerdigt werden können. Es wird Rücksicht darauf genommen, dass Muslime im Grab sozusagen nach Mekka geneigt und in Würde und in Frieden mit den Gebeten verabschiedet werden können. Diese Möglichkeit gibt es für uns in Deutschland. Ich kenne kein Bundesland, ich kenne keine Stadt, die die Muslime in einer Art und Weise diskriminieren würde und ihnen dieses Recht nehmen würde. Juden, Christen und Muslime haben alle die Möglichkeit, ihrer Religion treu zu werden. Die einzige Sache ist das mit dem Sarg, wo es eigentlich wünschenswert wäre für die Muslime, dass man ohne Sarg beerdigt wird. Aber das ist Überzeugungsarbeit und da sind wir in der Bringschuld und nicht die Mehrheitsgesellschaft.
Islam-ist: Was sind die Kernpunkte einer traditionell islamischen Bestattung? Und vor allem: Warum gibt es den Sarg nicht im Islam? Also warum dürfen wir Muslime uns nicht in einem Sarg beerdigen lassen?
Popal: Es soll ein sehr natürlicher Prozess sein. Ein sehr menschlicher Prozess. Eine Begegnung mit dem Menschen. Eine Begegnung mit dem Natürlichen. Das ist die Grundidee hinter den ganzen unterschiedlichen Traditionen, die der Islam uns lehrt, die der Prophet Mohammed, Frieden und Segen sei über ihm, uns nahegelegt hat. Es sollte unabhängig von der finanziellen Perspektive sein, denn ein Sarg kann sehr teuer sein. Es ist viel einfacher als das: Es sind Tücher, in denen man umwickelt, sehr einfach, arm und reich. Mann wie Frau, groß wie klein. Alle sind gleich vor Gott. Die Person wird begleitet mit einer sogenannten Waschung. Man wäscht den Toten. Da gibt es einen Ritus. Im schiitischen Islam gibt es besondere Gebete, die verrichtet werden, im sunnitischen Islam weniger Gebete, mehr die Praxis. Ansonsten gibt es gewisse Regel, wer waschen darf und wer nicht waschen darf. Auch unterschiedliche Meinungen.
Seelsorge im Islam
Islam-ist: Du macht es ja nicht nur Bestattungen, sondern bist ja auch mit der Seelsorge beschäftigt. Was sind die Aufgaben eines Seelsorgers?
Popal: Die Aufgabe eines Seelsorgers ist, Mensch zu sein. Die Aufgabe eines Seelsorgers ist, ansprechbar zu sein. Der Prophet Mohammed sagte: Der Gläubige ist des Gläubigen Spiegelbild. Wir müssen einander wie ein Spiegelbild sein. Was ist ein Spiegel? Ein Spiegel ist sehr persönlich. Ein Spiegel ist nicht laut. Ein Spiegel spricht nur zu mir. Ein Spiegel spricht nur, wenn ich will, dass er spricht. Ein Spiegel macht die Dinge nicht größer als sie sind und relativiert nicht und stellt die Dinge auch nicht überdimensional dar, sondern sehr realistisch, sehr persönlich. Und nur wenn ich diesen Wunsch habe, dass der Spiegel zu mir spricht, spricht der Spiegel zu mir. Und so sollte die Seelsorge sein. Man sollte nicht anhänglich sein, man sollte nicht aufdringlich sein, man sollte offen sein. Im Judentum heißt es, wenn ein Mensch sehr gläubig und sehr praktizierend ist: Er ist sehr Mensch. Man sagt nicht, er ist sehr Jude, sondern man sagt, er ist sehr Mensch. Ich könnte das eins zu eins auf den Islam übertragen.
Islam-ist: Im Alltag unterhält man sich kaum über das Thema Tod. Warum ist es eigentlich wichtig, über den Tod und auch über die Bestattung im Alltag zu sprechen? Und wieso tun wir das eigentlich nicht?
Popal: Wenn uns Corona eines lehrt, dann, dass sich alles ändern kann. Die Dinge, von denen wir dachten, dass die so sicher sind. Corona zeigt: Der Tod ist so nahe. Diese Demut vor dem Leben und vor den Höhen und Tiefen des Lebens, dass wir uns darüber nicht erheben dürfen, ist wichtig. Und deswegen müssen wir auch über den Tod reden. Über das, was sich ändern kann. Alles kann morgen anders sein. Keiner hat eine Garantie. Übermorgen kann jemand sterben. Heute kann jemand sterben. Und der ganze Plan, den wir uns gemacht haben über das ganze Jahr hinweg, spielt überhaupt keine Rolle mehr. Denn wir sind eigentlich davon ausgegangen, dass der Lebenspartner, die Lebenspartnerin immer an meiner Seite stehen wird. Und plötzlich ein Autounfall. Gott bewahre, keiner wünscht sich das. Aber wenn es passiert, dann ist es passiert. Und vor dem Tod kann keiner fliehen. Es heißt Im Koran: Jede Seele wird den Tod kosten. Es wird nicht gesagt: spüren oder begegnen. Sondern kosten. Also etwa schmecken. Das hat viel mit unseren Sinnen zu tun, mit unserem Geschmackssinn. Es heißt, der Tod ist etwas sehr Sensibles.
Der Tod wird instrumentalisiert
Islam-ist: Es gibt ja auch Kulturen, in denen das Thema Tod zelebriert wird.
Popal: Es gibt den Tag der Toten in Mexiko, wo man den Tod auf eine besondere Art und Weise feiert, mit Musik, Tanz und Essen. Und es gibt in China Traditionen, wo man Tote heiraten kann. Die Indianer hatten sehr interessante Traditionen, die Maya, die Inka-Völker, die alten Ägypter. Wir dürfen hier nicht nur vom Hier und Heute ausgehen. Die unglaublich reichhaltigen Traditionen, die es damals gab, die gibt es teilweise heute noch. Ein Blick in die Bibel würde uns nicht schaden. Abel und Kain und der Mord. Und dann haben wir von Raben gelernt, dass man beerdigen muss. Das sind unglaublich viele Rituale, wertvolle ethische Traditionen, von denen wir viel lernen können, wenn wir wachsam und mit Respekt und Würde auf die unterschiedlichen Traditionen gucken.
Islam-ist: Mit dem Tod wird auch versucht, Angst zu machen, einzuschüchtern, ihn zu instrumentalisieren. Man findet Videos, die den Tod einseitig darstellen.
Popal: Dass man so sensible Themen und wichtige Elemente und Schritte, die im Leben immer dazugehören, instrumentalisieren kann, liegt in der Natur der Sache. Es gibt eine Aussage von Platon, er sagt: Das Gefährlichste auf der Welt ist Geld, das Schlimmste auf diesem Planeten. Warum? Es gewinnt an Bedeutung aufgrund von Quantität. Das macht Geld so gefährlich, denn normalerweise muss etwas an Wert und Bedeutung erst gewinnen, wenn die Qualität steigt und nicht Quantität. Aber Geld ist eben genau andersherum. Es gewinnt an Wert und Bedeutung je mehr davon da ist und das Thema Geld, das Thema Ehe, die Liebe, aber auch den Tod – man kann diese Themen instrumentalisieren. Das haben die Nazis gemacht, die Rechtsradikalen, das machen radikale Islamisten. Sie benutzen dieses Thema und Schrecken vor dem Tod ab. Denn der Tod ist so nah. Der Tod ist so persönlich. Der Tod, vor dem kann keiner fliehen. Man kann damit unglaublich viel machen. Ich glaube, die gesunde Mitte ist der richtige Weg, nicht das Extreme.