Warum werden Suren in medinensische und mekkanische Suren unterteilt?
In vielen Koranausgaben sind am Anfang der Suren Anmerkungen wie medinensisch oder mekkanisch zu finden. Sie beziehen sich auf den vermutlichen Aufenthaltsort des Propheten Muhammad in Mekka oder Medina und den Zeitraum ihrer Offenbarung. Damit werden die Suren auch bestimmten Lebensphasen des Propheten zugewiesen, was muslimischen Theologen wichtige Hinweise für die Interpretation der jeweiligen Suren eröffnet.
Inhalt und Sprache führen zu Vermutungen über die zeitliche Abfolge der Suren
Die Suren des Korans sind nicht in einer chronologischen Reihenfolge ihrer ursprünglichen Offenbarung angeordnet. Sorgfältigen Lesern des Korans fällt jedoch auf, dass die Suren sich häufig sehr deutlich in ihrem Inhalt und in ihrer sprachlichen Form unterscheiden bzw. ähneln. Zum Teil lassen sie auch Rückschlüsse auf bestimmte historische Ereignisse zu, die unmittelbar bevorstanden oder die der Prophet Muhammad gerade erlebt hatte.
Bereits in den ersten Jahrhunderten des Islams erarbeiteten muslimische Gelehrte aus den Hinweisen in den jeweiligen Suren zeitliche Reihenfolgen ihrer Offenbarung. Sie diskutierten und verfolgten verschiedene Fragen, wie zum Beispiel:
- Welche Offenbarung empfing der Prophet Muhammad als erste?
- Welche Offenbarung als letzte?
- In welcher historischen Lebenssituation erhielt der Prophet die einzelnen Offenbarungen?
In heutigen Koranausgaben findet man daher häufig zwei Angaben zur Entstehungszeit, die relative Chronologie und die Unterscheidung in mekkanische und medinensische Suren. Diese Angaben sind Ergebnisse der Forschung muslimischer Gelehrter, die über die Jahrhunderte immer wieder neu diskutiert werden.
Eine relative Chronologie
In vielen Koranausgaben findet man Hinweise darauf, welche Sure vorher offenbart worden ist und welche im Anschluss folgt. Damit werden einzelne Suren zeitlich zueinander in Beziehung gesetzt. Diese relative Chronologie geht auf die Forschung des muslimischen Gelehrten Abd al-Kafi (11. Jh.) zurück und wurde seitdem über die Jahrhunderte von muslimischen Gelehrten immer wieder neu diskutiert.
Die Unterscheidung in mekkanische und medinensische Suren
In vielen Koranausgaben findet man am Anfang einer Sure einen Hinweis zum Entstehungsort in Mekka oder in Medina. Im Laufe der Jahrhunderte haben Wissenschaftler zu dieser Bestimmung verschiedene Kriterien entwickelt. Hier einige der Merkmale:
- Die kürzeren Suren gehören zur frühen Phase der Offenbarungen an den Propheten Muhammad. Sie fallen daher in die mekkanische Periode des Wirkens des Propheten.
- Die längeren Suren werden dagegen zur späteren Phase gerechnet. Sie werden daher medinensische Suren genannt.
Weitere Kriterien sind für Koranwissenschaftler die dominierenden Themen und die sprachlichen Merkmale der Suren:
Die Themen:
In mekkanischen Suren dominieren die Themen vom nahen Ende der Welt, der Auferweckung der Toten und dem bevorstehenden Gericht Gottes. Die medinensischen Suren thematisieren dagegen zahlreiche neue Regeln und Gesetze der neuen muslimischen Gemeinde.
Die Sprache:
Für mekkanische Suren ist eine packende dramatische Sprache charakteristisch. Markante kurze Reime und Sätze dominieren die Verse. Die Wörter, Bilder und Anspielungen sind sehr vieldeutig. Medinensische Suren sind dagegen häufig durch einen verschachtelten Satzbau geprägt. Es sind eher eindeutige erzählende Texte, die die neuen Regeln der Gemeinde in deutlichen Worten nahebringen sollen. Die Verse können viel länger sein, als in den mekkanischen Suren.
Die Übergangsphase zwischen mekkanischer und medinensischer Periode
Entlang dieser Kriterien wird heute neben der mekkanischen und der medinensischen Periode sogar noch eine dritte Periode unterschieden. Eine Phase, die eine Übergangszeit zwischen der mekkanischen und medinensischen Periode darstellt. Die Suren zeigen charakteristische Merkmale aus beiden Phasen der Offenbarung, der mekkanischen und der medinensischen.
Für muslimische Gelehrte ist die Einordnung der jeweiligen Suren in eine bestimmte Lebensphase des Propheten Muhammad sehr bedeutend. Sie rekonstruieren die jeweilige Lebenssituation und die historischen Bedingungen in der sich der Prophet Muhammad befand, als er die betreffende Offenbarung empfing. Diese Informationen bieten muslimischen Gelehrten wichtige Hinweise, um die jeweilige Sure zu interpretieren. Daher wurden bereits früh in der islamischen Geschichte Biografien über das Leben des Propheten Muhammad und umfangreiche Historien zur islamischen Geschichte verfasst.