#04 | „Islam ist ganz anders, als man denkt“: Journalistin Merve Kayikci im Gespräch

Merve Kayikci ist Vielen als „Prima Muslima“ bekannt – so heißt ihr Blog und unter diesem Namen findet man die 25-Jährige auch in Sozialen Netzwerken. Als freie Journalistin schreibt sie unter anderem für den „Spiegel“, ihn ihrem Podcast „Maschallah!“ spricht sie mit Muslim*innen in Deutschland. Diesmal war sie jedoch die Interviewte – Islam-ist sprach mit ihr über ihre Arbeit und ihren Glauben.

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Islam-ist: Salam Merve! Wie bist du Journalistin geworden?

Merve Kayikci: Salam alaikum, ich habe in Stuttgart einen Bachelor gemacht, der sehr praxisorientiert war. Während Auslandssemestern in Aarhus Dänemark und Utrecht in Holland habe ich zudem eine Art Ausbildung zur Auslandskorrespondentin bekommen. Das war total cool, weil am Anfang dachte ich so: Krass, Auslandskorrespondenz, das ist ja nicht typisch, dass das Muslime machen. Und während ich das gemacht habe, habe ich gemerkt, dass es gar nicht stimmt. Es gibt total viele Muslime in den Bereichen, zum Beispiel bei Al Jazeera arbeiten viele bekannte muslimische Reporter, bei der BBC und bei ganz vielen internationalen Sendern gibt es viele muslimische Journalisten, die extrem erfolgreich sind.

Islam-ist: Und wie ist es in Deutschland?

Kayikci: Hier in Deutschland bekommen wir von denen nichts mit. Als ich ganz am Anfang meiner Karriere war, gab es nicht so viele Muslime, die richtig Karriere gemacht haben. Erst durch den internationalen Studiengang erfuhr ich, dass es viele Muslime gibt, die im Journalismus arbeiten. Den Studiengang, den ich studiert habe, hatten vor mir beispielsweise auch Musliminnen studiert, die ebenfalls Kopftuch tragen. Das habe ich auf den Fotos der Jahrgänge zuvor gesehen und es hat mich überrascht, weil ich es in Deutschland gewohnt war, immer die „erste“ kopftuchtragende Journalistin zu sein.

Islam-ist: Woran liegt das deiner Meinung nach, dass Muslime in dem Bereich unterrepräsentiert sind. Hat das was mit der deutschen Medienlandschaft zu tun? Oder gibt es zu wenig Wille und Bereitschaft von muslimischer Seite aus?

Kayikci: Ich glaube, dass es mittlerweile viel, viel besser ist. Es gibt Kolumnistinnen, die einen Migrationshintergrund haben, es gibt bekannte Journalisten mit Migrationshintergrund, die auch mal einen Journalistenpreis gewinnen oder ein Ressort leiten. Aber ich bin mir manchmal nicht ganz sicher, ob sie auch wirklich Muslime sind oder ob sie „nur“ aus der Türkei kommen oder aus einem arabischen Land. Aber das ist eigentlich egal.

Was ich damit sagen will: Es ist schon besser geworden, man sieht mehr Kollegen, die nicht so „typisch“ deutsch sind, und ich glaube, das liegt nicht mal an den Muslimen, sondern in Deutschland ist es allgemein ziemlich schwer, Journalist zu werden. Man sagt zwar immer, es sei super einfach, weil jeder kann Journalist sein in Deutschland. Man braucht nicht mal Journalismus studiert zu haben, um diesen Titel zu bekommen. Auf der anderen Seite ist es aber so: Wenn man wirklich in dem Beruf etabliert sein möchte, sollte man auf eine der sehr begehrten Journalistenschulen gegangen sein. Es ist zwar keine obligatorische Voraussetzung, aber die meisten erfolgreicheren Journalisten waren auf einer Journalistenschule – und die Hürden sind sehr hoch, dort angenommen zu werden.

„Es tut ja niemandem weh, wenn man einfach der Person die Hand nicht geben will“

Islam-ist: Was bedeutet denn der Islam für dich? Und wie wichtig ist der Islam für deine Arbeit?

Kayikci: Islam ist ganz anders, als man denkt. Ich glaube, dass selbst Muslime manchmal so ein Bild vom Islam haben, das gar nicht richtig stimmt; bei Nicht-Muslimen ist es vermutlich sogar noch eher so. Ich glaube, gerade zur heutigen Zeit benutzt man den Islam immer wieder, um bestimmte Normen durchzusetzen. Ich empfinde den Islam in der gesellschaftlichen Debatte als sehr anstrengend, aber liebe ihn in meinem privaten Leben total.

Islam-ist: Siehst du eine bestimmte Rolle, die du mit deinem Glauben und deiner Arbeit als Journalistin versuchst zu erfüllen?

Kayikci: Eigentlich sehe ich mich gar nicht als die Richtige dafür, für den Islam zu sprechen. Das ist bisher immer durch Zufall passiert. Zum Beispiel habe ich mit meinem Blog angefangen, weil ich das Gefühl hatte, es gibt super viele Blogs von Muslimen für Muslime. Aber es gab nicht wirklich viele Blogs zu Muslimen, die nicht nur Muslime angesprochen haben, sondern auch Nicht-Muslime. Ich hatte gemerkt, dass das Interesse bei Nicht-Muslimen, alltägliche Dinge des muslimischen Lebens einfach zu verstehen, auch sehr groß ist. Zum Beispiel, was Muslime eigentlich an Weihnachten machen oder was so ein Fest wie Eid Al-Fitr für eine Bedeutung hat oder wie sie sich wünschen, dass Nicht-Muslime sich zu solchen Anlässen verhalten. Oft hatten diese Personen nicht die Chance, Dinge einzuordnen, wenn sie selber keine Muslime kannten.

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Islam-ist: Kannst du ein Thema nennen, mit dem du dich dann beschäftigt hast?

Kayikci: Es gab mal einen Fall, als ein muslimischer Polizist seiner Vorgesetzten die Hand nicht geben wollte. Und dann fragen sich Nicht-Muslime: „Darf er Frauen nicht die Hand geben? Heißt es, dass er irgendwie extremistisch ist?“ Sie konnten das nicht richtig einordnen. Ich habe deshalb meinen Blog auch genutzt, um das Hintergrundwissen oder auch einfach meine Sicht auf solche Dinge zu teilen. Oft gab es dann auch Nicht-Muslime, die gesagt haben: „Okay, krass, so hab‘ ich das bisher noch nicht gesehen, weil ich halt auch gar keinen Zugang dazu habe.“

Zum Beispiel habe ich erklärt, dass meine Eltern das auch nicht machen, da es für sie auch eine Bedeutung von Treue hat und dass es nicht nur darum geht, das andere Geschlecht zu meiden. Es hat auch nichts damit zu tun, die Person nicht zu respektieren. Wenn mein Vater etwa Lehrerinnen die Hand nicht geben wollte, haben sie das persönlich genommen, weil sie dachten, er respektiere sie nicht. Und ich habe dann gesagt: Es tut ja niemandem weh und stört doch auch niemanden, wenn man einfach der Person die Hand nicht geben will. Außerdem ist es auch aus hygienischer Sicht total gut, weil man dann weniger Infektionsgefahr hat. In einem Blogeintrag habe ich dann auch den geschichtlichen Hintergrund eingeordnet: Warum sich überhaupt die Hand geben? In Europa hat das eine krasse Bedeutung, in anderen Ländern überhaupt keine. Deshalb ging es mir in meinem Blogeintrag einfach darum zu zeigen, dass ich beide Seiten verstehe und dass man verständnisvoll für einander sein muss.

„Meine Theorie ist, dass das Kopftuch eigentlich gar kein Hindernis ist“

Islam-ist: Wie ist es in deinem Alltag: Stößt du da auf Hindernisse, etwa im Arbeitsleben, weil du ein Kopftuch trägst?

Kayikci: Meine persönliche Erfahrung ist tatsächlich die, dass das Kopftuch im Berufsleben ein großes Hindernis sein kann. Ich habe mich schon oft beworben, aber ich habe noch nie auf eine reguläre Bewerbung eine Einladung zum Bewerbungsgespräch bekommen, nicht einmal für einen Nebenjob. Noch nie. Teilweise habe ich nicht mal eine Absage bekommen. Ich habe Jobs nie auf dem regulären Weg über E-Mail oder über Post bekommen, sondern meistens über Kontakte. Oder weil ich empfohlen wurde, weil man mich über Twitter oder von einer Veranstaltung kannte.

Das finde ich so krass, weil das zeigt, dass das Kopftuch eigentlich kein Hindernis ist, gute Arbeit zu machen. Ich habe schon oft irgendeine Veranstaltung moderiert, und dann waren da irgendwelche Leute, die mir zugehört haben und mich dann eingeladen haben, eine Veranstaltung zu moderieren, weil sie gesagt haben: „Wir fanden es gut, wie du es gemacht hast. Wir wollen dich auch.“ Aber wenn ich mich vielleicht beworben hätte, hätte ich nicht beweisen können, dass ich „trotz“ Kopftuch gut moderieren kann; sie hätten mich vielleicht gar nicht eingeladen.

Islam-ist: Wie gehst du damit um, was lernst du daraus?

Kayikci: Meine Theorie ist, dass das Kopftuch eigentlich gar kein Hindernis ist, aber als Hindernis wahrgenommen wird. Und ich will nicht, dass muslimische Frauen das annehmen. Ich will nicht, dass muslimische Frauen denken, sie können keine Karriere machen, vor allem nicht mit Kopftuch, weil es negativ ist, es nicht funktioniert, es ein Hindernis ist. Ich will, dass Sie diese Barriere überwinden.

Dass sie es schaffen, den Leuten zu zeigen, was sie können, ohne dass das Kopftuch zum Thema wird. Und das ist auf den ersten Blick vielleicht schwierig. Aber ich glaube, wenn man mit der Einstellung rangeht, dass man sich nicht trotz des Kopftuchs, sondern vielleicht wegen des Kopftuchs durchsetzen kann und man gelernt hat, wie man zu einer kontroversen Meinung steht, es in Diskussionen, in Debatten, in Stress- und Konfliktsituationen geübt hat, hat es viele Vorteile, diese Erfahrungen mitzubringen. Und ich glaube, man muss nur versuchen, das positiv zu „verkaufen“.

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