Dürfen Muslime tanzen?
Seit Beginn des Islams streiten muslimische Gelehrte darüber, ob Musik, Tanz und Gesang im Islam überhaupt erlaubt sind. Heute lehnen zahlreiche fundamentalistische Gruppierungen, beispielsweise Wahhabiten, Salafisten oder die Muslimbrüder, Tanzen absolut ab oder stellen enge Bedingungen auf.
Auch sunnitische und schiitische Gelehrte haben über die Jahrhunderte häufig Tanz verboten. Ihren Urteilen widersprechen jedoch auch zahlreiche angesehene Gelehrte, die Musik, Tanz und Singen unter bestimmten Bedingungen erlauben, ja für gesund und sinnvoll halten.
Sufische Gruppen sehen dies sogar als Weg zu einer tiefen Erfahrung und Erkenntnis Gottes. Jedenfalls singen, tanzen und musizieren Muslime seit dem Beginn des Islams bis heute und genießen eine reiche und lebendige Musikkultur.
Tanz in Koran und Sunna
Eine grundlegende Tendenz ist in vielen Texten der Sunna erkennbar: Musik und Tanz wird von vielen islamischen Gelehrten pauschal abgelehnt. Weder erlauben sie Tänze im privaten Bereich, noch im öffentlichen Bereich. Auch die traditionellen Tänze werden von ihnen verboten. Irdische Vergnügungen lenken ihrer Meinung nach Muslime von Gott ab. Obendrein können bei öffentlichen Tanzvorstellungen sexuelle Gefühle entstehen, die zur Sünde führen. [1]
Dabei beruhen jedoch die Hadithe, die als Beleg herangezogen werden, häufig auf schwachen Überliefererketten oder beziehen sich auf Situationen, die im 7. Jahrhundert stattgefunden haben und heute in dieser Form nicht mehr vorzufinden sind. Die Gelehrten dachten dabei auch an die Tanz- und Musikkultur ihrer eigenen Zeit. Ihre Urteile sind von den Bedingungen einer längst vergangenen Gesellschaft und Kultur bestimmt. Sie stellten die wichtigsten Hadith-Sammlungen im 8. bis 10. Jahrhundert zusammen.
Schon damals sahen muslimische Gelehrte diese pauschalen Verbote sehr kritisch und beurteilten sie als ungültig. Obendrein haben die in den Hadith-Sammlungen geschilderten Situationen wenig mit heutigen Tanz- und Musikaufführungen zu tun. Auch das heutige moderne Verständnis von Tanzkunst oder den Formen privater Feste ist mit damals nicht vergleichbar. Muslimische Gelehrte, die Singen, Tanzen und Musik für erlaubt halten, haben daher einige Verhaltensregeln ausgearbeitet.
Wichtig ist ihnen z.B.: dass nicht zur Sünde verführt wird, Alkohol verboten ist und keine sexuelle Freizügigkeit besteht. Einige erlauben Tanz nur unter Männern und Frauen in getrennten Bereichen. Aber selbst bei diesen Regeln weichen muslimische Gelehrte erheblich voneinander ab.
Tanz in der Kultur islamischer Länder
Auch beim Tanz sind eine beeindruckende Vielfalt und Widersprüche charakteristisch für Länder mit mehrheitlich muslimischer Bevölkerung. Einige Beispiele aus der heutigen Wirklichkeit:
In Saudi-Arabien verbietet der Wahhabismus jegliche Formen von Tanz und Musik. Dennoch sind hochoffiziell bei saudischen Kulturtagen und dem jährlich stattfindenden Dschanadriyya-Festival Musik-, Gesangs- und Tanzaufführungen zentrale Ereignisse. Aufgeführt werden z.B. die traditionellen Schwerttänze der Männer (arab. `ardha). [2]
Überhaupt sind in der arabischen Welt zahlreiche unterschiedliche Tänze zu finden. Neben Waffen- und Schwerttänzen auch Kriegstänze, z.B. der jemenitische Bara‘ oder Bara’ah. Berühmt sind die „Haartänze“ der Frauen der Arabischen Halbinsel, so etwa in den Vereinigten Arabischen Emiraten oder Saudi-Arabien (arab. ni’ash, khaleedji oder smart).
Weit verbreitet sind in Arabien auch traditionelle Tänze, bei denen Männer und Frauen zusammen tanzen. Dazu gehören z.B. der „Dähhe“ der Utayba in Saudi-Arabien oder der „Sahdjeh“. Auch in den jemenitischen Provinzen Hadramaut und al-Mahra sowie in der omanischen Provinz Dhofar gibt es Tänze, bei denen Frauen und Männer gemeinsam auftreten. Sehr verbreitet ist der Reihentanz „Dabke“ an der Mittelmeerküste, der an den griechischen Sirtaki erinnert. Er wird nur von Männern oder Frauen oder gemeinsam getanzt. [3]
Islam und der moderne Tanz
Dürfen Muslime nur traditionelle jahrhundertealte Tänze im überlieferten Rahmen tanzen? Das fragen sich viele junge Muslime heute. Der Wunsch nach modernen kreativen Formen führt z.B. in Saudi-Arabien immer wieder zu fröhlichen Protesten und Tabu-Brüchen. Hierbei gehen die jungen Menschen ein hohes Risiko ein, denn es drohen schwere Strafen. Der neueste You-Tube-Hit mit mehreren Millionen Klicks stammt von Majed Alesa: Vollverschleiert protestieren dort tanzende junge saudische Musliminnen. Sie singen: „Mögen alle Männer ausgelöscht werden.“ [4]
Hier zeigt sich, dass Tanz nicht nur zum Vergnügen dient, sondern auch auf gesellschaftliche Missstände hinweisen kann. Tanz als Ausdruck für Kritik, Glaubensfragen oder Selbstfindung ist auch ein wesentliches Element in der starken muslimischen Hip Hop und Rap Bewegung. Sahira Awad hat sich beispielsweise radikal von salafistichen Rappern abgewandt. Der Islam führt ihrer Überzeugung nach zu anderen Antworten als denjenigen, die Salafisten geben. Sie hat sich der Musik wieder zugewandt und sieht ihre Kunst als eine Bereicherung ihres Glaubens. [5]
Ein weiteres Beispiel ist der Einsatz der jungen australischen Balletttänzerin Stephanie Kurlow, die mittlerweile von dem Lable Björn Borg unterstützt wird. [6]
Die „Happy-British-Muslim“- und die Blogger-Initiative „The Honesty Policy“ sind Bewegungen, die Tanz mit ihrem muslimischen Glauben als gut vereinbar sehen. [7]
Quellen
[1] Heine: Märchen, Miniaturen, Minarette. Eine Kulturgeschichte des Islams, 2011, S. 197
[2] saudischekulturwoche.de
[3] Behnstedt, Wortatlas der arabischen Dialekte, Bd. III., „Tanzen“, S. 329, 2014
[5] Doku mit Sahira Awad
[6] https://www.welt.de/vermischtes/article152435134/Aufbegehren-einer-jungen-Taenzerin-mit-Kopftuch.html
[7] https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2014-04/happy-muslims/komplettansicht; https://www.youtube.com/watch?v=MvlmXhcRLMY