#03 | „Zivilcourage zeigen – egal, ob ich betroffen bin oder nicht“: Interview mit Antirassismus-Trainer Dennis Sadiq Kirschbaum

Wie lebt es sich als Konvertit mit muslimischem Glauben und jüdischem Nachnamen in Deutschland? Welche Diskriminierungen erlebt man – und welche Formen der Solidarität? Wie gibt man diese Erfahrungen weiter? Islam-ist hat mit dem Aktivist und Antirassismus-Trainer Dennis Sadiq Kirschbaum gesprochen.

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Islam-ist: Hallo Sadiq, ganz generell vorab: Wer bist du, was machst du?

Dennis Sadiq Kirschbaum: Ich studiere derzeit Politik und Philosophie auf Lehramt und bin seit vier Jahren in der außerschulischen politischen Bildung tätig. Das heißt, ich gebe Workshops in Schulen, in Jugendeinrichtungen, in Museen. Ich mache auch antirassistische Stadtführungen. Zusätzlich bin ich Bundesvorsitzender des Vereins „Juma“.

„Juma“ ist ein Akronym und steht für: jung, muslimisch, aktiv. Wir sind bundesweit die größte muslimische Jugendorganisation, die klassische Jugendarbeit leistet, ohne theologische Angebote. 2019 wurde ich dann zum Botschafter für junges Engagement der Bundesrepublik ernannt, und ich bin seit jetzt gut über zehn Jahren in der muslimischen Jugendarbeit tätig, was mir Riesenspaß macht.

Islam-ist: Was macht ihr bei „Juma“ genau?

„Wollen den muslimischen Otto-Normalverbraucher zeigen“

Kirschbaum: „Juma“ gibt es mittlerweile seit zehn Jahren als Projekt. Wir sind aber seit zweieinhalb Jahre ein eigenständiger Verein und haben 2019 unser erstes Projekt umsetzen können, die Kampagne „Gemeinsam menschlich“. Wir hatten tausend Plakate in Berlin, Leipzig und Stuttgart hängen und veröffentlichten jeden Tag auf unseren Social-Media-Kanälen und auf unserer Webseite Videos mit Protagonist*innen, die das Motto „Gemeinsam menschlich“ jeden Tag leben. Das heißt, das sind muslimische Menschen, die einen stinknormalen Alltag bestreiten, mit Nichtmuslimen im Arbeitsleben, im Sportverein oder anderweitig in politischen Organisationen aktiv sind.

Wir wollen damit das Narrativ um muslimischen Alltag in Deutschland erweitern, weil ganz oft werden Narrative bedient, die sich extremistischen Positionen bedienen. Das heißt, muslimischer Alltag in Deutschland wird ganz oft in eher negativ behafteten Spektren verortet. Und wir wollen eigentlich mal diesen eher „langweiligen“ muslimischen „Otto-Normalverbraucher“ zeigen, den es auch gibt. Das sind eben Menschen, die seit 40 Jahren im Berufsleben sind und einfach mit Nichtmuslimen zusammenarbeiten.

Islam-ist: Dennoch scheinen Muslim*innen häufig nicht als „Otto-Normalverbraucher“ wahrgenommen zu werden. Straftaten gegen Muslim*innen nehmen weiter zu.

Kirschbaum: Ja. Der Religionsmonitor der Bertelsmann-Stiftung, der jedes Jahr veröffentlicht wird, zeigt, dass es im Jahr 2018 1000 islamfeindliche Straftaten gab und 1200 antisemitische. Ich benutze diese Zahlen sehr gerne in meiner Arbeit, gerade mit Kindern und Jugendlichen, um zu verdeutlichen: Schaut mal, das ist wirklich ein Alltagsproblemen, das wir hier haben. Jeden Tag gibt es drei beziehungsweise vier islamfeindliche oder antisemitische Straftaten in Deutschland. Und tatsächlich ist das nur die Spitze des Eisbergs. Denn in der Polizeistatistik werden ja islamfeindliche und antisemitische Straftaten nicht gesondert aufgeführt, sondern da ist ein Tötungsdelikt ein Tötungsdelikt. Das heißt, diese Zahlen stammen von Organisationen, die das nun mal gesondert tracken, wie „Rias“ oder „Claim“. Das heißt, Opfer einer antisemitischen oder islamfeindlichen Straftat sind zur Polizei gegangen und dann darüber hinaus nochmal zu einer Organisation und haben ihre Geschichte erneut erzählt. Und das tun nun wirklich die Wenigsten und deswegen glaube ich, dass das wirklich nur die Spitze des Eisbergs.

Trotzdem sind diese Zahlen, Daten, Fakten super wichtig, denn als ich noch zur Schule gegangen bin, da gab es auch Islamfeindlichkeit. Auch ich bin davon betroffen gewesen und habe oft nach Mitteln und Wegen gesucht, mich darüber zu informieren: Gibt es Leute, die das in den Medien kommunizieren? Damals wurde oft ein Frame bedient, der gesagt hat: Das sind alles Opfernarrative, die Muslime wollen uns als Nazis darstellen, oder das Thema Islamfeindlichkeit sei übertrieben. Und heutzutage gibt es eben diese Zahlen, Daten, Fakten, die man verwenden kann – das sind wirklich erschreckende Zahlen und sie sind bei noch nicht das vollständige Abbild der Realität.

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Islam-ist: Machst du denn selbst solche islamfeindlichen oder rassistischen Erfahrungen in deinem Alltag?

Kirschbaum: Es gibt eine Situation, die ganz konkret passiert ist. Als ich mit der Schule fertig war, wollte ich ein bisschen Geld verdienen, bin bei mir um die Ecke zum Supermarkt gegangen und habe angefangen, an der Kasse zu arbeiten. Also bekamm ich ein Namensschild, weil die Kunden müssen ja irgendwie mit dir interagieren. Ich habe einen jüdisch Nachnamen, und am ersten Tag kommt eine Person rein in den Laden, guckt mich an und sagt: „Weißt du, so wie du aussiehst, so wie du deinen Bart stutzt und aufgrund deines Namens erkenne ich, du bist ein orthodoxer Jude – und Leute wie euch sollte man umbringen.“ Ehe ich mich versehen konnte, hat die Person mit der Faust ausgeholt und versucht, mir direkt eine zu geben. Ich war total geschockt und überfordert mit der Situation. Ich wusste gar nicht, was ich jetzt machen soll. Ich konnte dem Schlag irgendwie ausweichen. Zum Glück stand die Security-Person in der Nähe, ist dann eingeschritten, hat die Person direkt auf den Boden gedrängt und wir haben die Polizei gerufen und das Ganze zur Anzeige gebracht. Ich habe den Fall natürlich gewonnen.

„Da passiert gerade ein Unrecht, und ich kann mich dagegen stark machen“

Islam-ist: Wurdest du auch schon aufgrund deines tatsächlichen Glaubens, dem Islam, angefeindet?

Kirschbaum: Ja. Ein paar Jahre später sitzt mir gegenüber in der Uni eine weiße deutsche Person, die nach zehn Minuten den Laptop zuklappt und zu mir rüber guckt und sagt: „Weißt du was, so wie du aussiehst und wie du deinen Bart stutzt, erkenne ich, du bist ein Salafist, und Leute wie euch sollte man aus Deutschland rausschmeißen.“ Und ich war so: Krass, was ist mit meinem Gesicht so verkehrt? Warum darf ich mich nicht selbst definieren? Warum werde ich immer wieder von Fremden definiert? Ich war total getriggert in dem Moment, weil die Person exakt denselben Satz sagte und die selbe Argumentationskette benutzt wie die Person im Supermarkt, nur mit anderem Ergebnis: Diesmal war ich nicht der böse Jude, diesmal war ich der böse Muslim.

Islam-ist: Wie hast du diesmal reagiert?

Kirschbaum: Ich überlegte: Soll ich jetzt die Polizei rufen? Na ja, diesmal war es ein bisschen subtiler. Wahrscheinlich würden die jetzt nicht deswegen kommen. Trotzdem wollte ich dieser Person eine Lehre erteilen. Ich bin aufgestanden, hab angefangen, eine Szene zu machen, und hab dann laut erzählt: „Weißt du was, ich kenne einen Antisemiten, der benutzt dieselben Argumentationsmuster wie du. Ich glaube, ihr wärt beste Freunde, willst du seine Nummer haben?“ Er war darauf total perplex. Dann hab ich angefangen, die ganze Geschichte ganz laut zu erzählen und habe gesagt, er solle sich bitte entscheiden: Entweder ich bin der böse Jude oder der böse Moslem. Er war damit total überfordert.

Spannend war die Reaktion der anderen Menschen. Die standen dann irgendwann so in einer Menschentraube um uns herum und haben sich auf einmal mit mir total solidarisiert, sind zu mir hingekommen und meinten, es tue ihnen leid, was passiert ist.

Islam-ist: Was hast du aus dieser Reaktion gelernt?

Kirschbaum: Die Message der Geschichte ist: Alle Leute, die da um mich herumstanden, die mir ausgeholfen haben, die sind anders aufgewachsen als ich. Die machen andere Erfahrungen im Alltag. Die wissen nicht, wie es ist, praktizierender Konvertit muslimischen Glaubens zu sein. Die wissen nicht, wie es ist, einen jüdischen Nachnamen in Deutschland zu haben. Die haben keine Ahnung, wie es ist, so auszusehen wie ich und nie als Deutscher auf der Straße erkannt zu werden. Wissen die nicht. Aber was sie erkannt haben: Da passiert gerade ein Unrecht, und ich kann mich jetzt dagegen stark machen. Und das finde ich so wichtig: Zivilcourage zu zeigen. Egal, ob ich betroffen bin oder nicht, ich kann mich gegen diese Schweinereien, die wir in der Gesellschaft haben – wie Sexismus, Homo- & Transfeindlichkeit, Antisemitismus, Islamhass, Rassismus – einsetzen. Ich kann was machen.

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